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Starkes Gift

Starkes Gift

Titel: Starkes Gift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy L. Sayers
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bereits mehr als ausgelastet sei. Aber auf den übrigen Etagen des Gebäudes spielten sich andere Aktivitäten ab. Alle Beschäftigten waren Frauen – meist ältere, aber es waren auch ein paar junge, hübsche darunter –, und wenn man einen Blick in die im Stahlschrank aufbewahrten Personalakten hätte tun können, wäre einem aufgefallen, daß diese Frauen allesamt in eine Kategorie fielen, die man so lieblos als »überflüssig« zu bezeichnen pflegt. Es waren alte Fräuleins mit kleinem oder gar keinem Einkommen; Witwen ohne Anhang; von flatterhaften Ehemännern verlassene Frauen, die von winzigen Unterhaltszahlungen lebten und, bevor Miss Climpson sie anstellte, in ihrem Leben nichts hatten als Bridge und den Klatsch der Pensionen, in denen sie lebten. Pensionierte und vom Leben enttäuschte Lehrerinnen waren darunter; arbeitslose Schauspielerinnen; couragierte Frauen, die mit Hutsalons und Teestuben gescheitert waren; sogar verwöhnte Backfische aus gehobenen Kreisen, denen die Cocktailpartys und Nachtclubs zu langweilig geworden waren. Alle diese Frauen schienen den lieben langen Tag nichts anderes zu tun zu haben, als auf Annoncen zu antworten. Unverheiratete Herren, die (spätere Heirat nicht ausgeschlossen) die Bekanntschaft vermögender Damen suchten; rüstige Sechziger auf der Suche nach Haushälterin in abgelegener ländlicher Gegend; Finanzgenies, die sich für große Projekte zahlungskräftige Partnerin wünschten; literarisch ambitionierte Herren mit Interesse an weiblicher Mitarbeit; seriöse Talentsucher für die Provinz; Wohltäter, die einem verraten wollten, wie man in seiner Freizeit zu Geld komme – sie alle bekamen über kurz oder lang Bewerbungen von Miss Climpsons Damen. Es mag Zufall sein, daß diese Herren oft das Mißgeschick hatten, wenig später wegen Heiratsschwindel, Erpressung oder versuchter Kuppelei vor den Kadi zitiert zu werden, aber Tatsache ist, daß Miss Climpsons Büro sich einer eigenen direkten Telefonleitung zu Scotland Yard rühmen konnte, und daß ihre Damen selten so schutzlos waren, wie sie erschienen. Tatsache ist auch, daß die Zahlungen für Miete und Unterhalt dieser Einrichtung sich bei einiger Mühe mit Lord Peter Wimseys Bankkonto in Verbindung bringen ließen. Seine Lordschaft war bezüglich dieses Unternehmens ziemlich verschwiegen, nur wenn er mit Chefinspektor Parker oder anderen engen Freunden allein war, sprach er gelegentlich von seinem »Katzenhaus«.
    Miss Climpson schenkte ihm eine Tasse Tee ein, bevor sie antwortete. Sie trug an ihren mageren, spitzenverhüllten Handgelenken lauter kleine Armringe, die bei jeder Bewegung angriffslustig klimperten.
    »Ich weiß es wirklich nicht«, sagte sie, offenbar das Problem von der psychologischen Seite betrachtend. »Es ist so gefährlich und so schrecklich gemein , daß man sich fragt, wie einer überhaupt die Unverfrorenheit für so etwas haben kann. Und oft haben sie so wenig dabei zu gewinnen.«
    »Das meine ich ja«, sagte Wimsey, »was hoffen sie damit zu gewinnen? Manche tun es natürlich aus bloßem Spaß, wie diese Deutsche, deren Name mir entfallen ist, aber die hatte einfach Freude daran, Leute sterben zu sehen.«
    »Was für ein eigenartiger Geschmack«, sagte Miss Climpson. »Kein Zucker, glaube ich? – Wissen Sie, mein lieber Lord Peter, ich hatte schon oft die traurige Pflicht, an einem Sterbebett zu stehen, und obwohl viele von ihnen – wie mein lieber Vater – einen sehr christlichen und schönen Tod hatten, kann ich wirklich nicht behaupten, daß es mir Spaß gemacht hätte. Die Menschen haben natürlich sehr verschiedene Vorstellungen von Spaß, ich persönlich habe zum Beispiel nie viel für George Robey übriggehabt, obwohl ich bei Charlie Chaplin immer lachen muß – trotzdem, wissen Sie, an jedem Totenbett gibt es doch so manche unerfreuliche Erscheinung, und ich kann mir nicht vorstellen, wie jemand daran Geschmack finden soll, selbst wenn er noch so pervers ist.«
    »Da gebe ich Ihnen völlig recht«, sagte Wimsey. »Aber es muß in gewissem Sinne eben doch Spaß machen – dieses Gefühl, wissen Sie, Herr über Leben und Tod zu sein.«
    »Das ist ein Eingriff in die Vorrechte des Schöpfers«, sagte Miss Climpson.
    »Aber es muß doch ganz nett sein, sich sozusagen als Gott zu fühlen. Hoch über der Welt zu schweben und so. Ich verstehe schon die Faszination. Aber für praktische Zwecke steckt in dieser Theorie der Teufel – ich bitte um Verzeihung, Miss Climpson, keine

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