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Starkes Gift

Starkes Gift

Titel: Starkes Gift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy L. Sayers
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Mißachtung geheiligter Persönlichkeiten – ich meine, dafür ist sie nicht zu gebrauchen, da sie auf einen Menschen ebenso anwendbar ist wie auf jeden andern. Wenn ich hier nach einem Triebmörder suchen müßte, könnte ich mir gleich die Kehle durchschneiden.«
    »Sagen Sie nicht so etwas«, flehte Miss Climpson, »nicht einmal im Scherz. Ihre Arbeit hier – so gut, so wertvoll – ist es allein schon wert, daß Sie am Leben bleiben, auch wenn Sie persönlich noch so eine herbe Enttäuschung hinnehmen müßten. Und ich habe schon erlebt, wie solche Scherze sehr böse ausgegangen sind, auf die erstaunlichste Weise. Da war einmal ein junger Mann in unserer Bekanntschaft, der immer so lose dahergeredet hat – das ist schon lange her, lieber Lord Peter, da waren Sie noch ein kleines Kind, aber auch damals waren die jungen Männer schon liederlich, da kann man heute über die Achtziger sagen, was man will – also, und dieser junge Mann, der sagte eines Tages zu meiner armen Mutter: ›Mrs. Climpson, wenn ich heute keine gute Beute mache, erschieße ich mich‹ (er war nämlich ein begeisterter Jäger), und dann zog er los mit seinem Gewehr, und wie er über einen Zauntritt steigt, bleibt er mit dem Abzug in der Hecke hängen, und das Gewehr geht los und zerreißt ihm den ganzen Kopf. Ich war da noch ein junges Mädchen, und es hat mich furchtbar aufgeregt, denn er war so ein hübscher junger Mann, mit einem Backenbart, den wir alle bewundert haben, obwohl man heute eher darüber lächeln würde, und der war durch den Schuß ganz abgesengt, und im Kopf hat er ein schrecklich großes Loch gehabt, wie man mir erzählt hat, denn hingehen und ihn mir ansehen durfte ich natürlich nicht.«
    »Der arme Kerl«, sagte Seine Lordschaft. »Nun gut, vergessen wir fürs erste den Triebmörder. Aus welchen Gründen töten Menschen sonst noch?«
    »Aus – Leidenschaft«, sagte Miss Climpson mit einem leichten Zögern vor diesem Wort, »denn Liebe möchte ich es nicht gern nennen, wenn sie so zügellos ist.«
    »Dieser Erklärung neigt auch die Anklage zu«, sagte Wimsey. »Aber die akzeptiere ich nicht.«
    »Auf keinen Fall. Aber – es könnte doch möglich sein, nicht wahr, daß noch eine andere unglückliche junge Frau diesem Mr. Boyes zugetan war und Rachegefühle gegen ihn hegte?«
    »Ja, oder ein Mann war eifersüchtig. Aber das Problem ist hier die Zeit. Man braucht schon einen plausiblen Vorwand, um jemandem Arsen geben zu können. Man kann einen Menschen nicht einfach auf der Straße ansprechen und sagen: ›Hier, trink mal einen Schluck davon.‹«
    »Aber da waren doch die zehn Minuten, über die wir nichts wissen«, wandte Miss Climpson listig ein. »Könnte er da nicht in ein Wirtshaus gegangen sein, um eine kleine Erfrischung zu sich zu nehmen, und dort einen Feind getroffen haben?«
    »Menschenskind, das wäre möglich.« Wimsey notierte sich das, dann schüttelte er zweifelnd den Kopf. »Aber das wäre ein erstaunlicher Zufall. Es sei denn, er hätte sich dort mit ihm verabredet. Immerhin, nachprüfen kann man es mal. Fest steht jedenfalls, daß Mr. Urquharts Haus und Miss Vanes Wohnung nicht die einzigen vorstellbaren Orte sind, an denen Boyes an diesem Abend zwischen sieben und zehn nach zehn etwas gegessen oder getrunken haben könnte. Also, unter der Überschrift LEIDENSCHAFT finden wir: 1. Miss Vane (kommt ex hypothesi nicht in Frage); 2. eifersüchtige Geliebte; 3. dito Rivale. Ort: Wirtshaus (Fragezeichen). Nun kommen wir zum nächsten Motiv, und das ist GELD . Ein gutes Motiv, um jemanden zu ermorden, der welches hat, aber ein schlechtes Motiv im Falle Boyes. Trotzdem, Geld. Darunter könnte ich mir drei verschiedene Untertitel vorstellen: 1. Raubmord (sehr unwahrscheinlich); 2. Versicherung; 3. Erbschaft.«
    »Was für einen klaren Verstand Sie haben«, sagte Miss Climpson.
    »Wenn ich dereinst sterbe, werden Sie das Wort ›Gründlichkeit‹ auf meinem Herzen geschrieben finden. Ich weiß nicht, wieviel Geld Boyes bei sich hatte, aber viel wird es nicht gewesen sein. Urquhart und Vaughan könnten es wissen; aber das ist auch nicht so wichtig, denn Arsen ist keine sehr geeignete Waffe für einen Raubmord. Es dauert verhältnismäßig lange, bis man an die Arbeit gehen kann, und das Opfer ist nicht hilflos genug. Wir könnten höchstens unterstellen, daß der Taxifahrer ihn vergiftet und dann ausgeraubt hat, aber sonst wüßte ich niemanden, der von so einem dämlichen Verbrechen hätte profitieren

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