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Starkes Gift

Starkes Gift

Titel: Starkes Gift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy L. Sayers
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er sah, schien ihm nicht zu mißfallen, denn er fuhr fort:
    »Das arme, fehlgeleitete Mädchen! Ich versichere Ihnen, daß ich keine Rachegefühle gegen sie hege – das soll heißen, niemand wäre froher als ich, wenn ich wüßte, daß sie dieser schrecklichen Tat nicht schuldig ist. Ja, Lord Peter, sogar wenn sie schuldig wäre, würde es mir sehr weh tun, sie dafür sterben sehen zu müssen. Was immer wir tun, wir können die Toten ja doch nicht wieder zum Leben erwecken, und es wäre ungleich besser, wir würden alle Vergeltung dem Herrn überlassen, denn in seine Hände allein gehört sie. Auf jeden Fall gäbe es nichts Furchtbareres, als einem unschuldigen Menschen das Leben zu nehmen. Es würde mich bis ans Ende meiner Tage verfolgen, wenn dafür nur die geringste Möglichkeit bestünde. Und ich gestehe, daß ich, als ich Miss Vane vor Gericht sah, schwere Zweifel hatte, ob es richtig von der Polizei war, sie auf die Anklagebank zu setzen.«
    »Danke sehr«, sagte Wimsey, »es ist sehr freundlich von Ihnen, daß Sie das sagen. Es erleichert mir meine Aufgabe sehr. Aber entschuldigen Sie, Sie sagten: ›Als ich sie vor Gericht sah.‹ Kannten Sie sie da noch nicht?«
    »Nein. Ich wußte natürlich, daß mein unglücklicher Sohn eine ungesetzliche Verbindung mit einer jungen Frau eingegangen war, aber ich konnte es nicht über mich bringen, sie kennenzulernen – und ich glaube sogar, daß sie selbst es Philip aus reinem Taktgefühl nicht erlaubt hat, sie seiner Familie vorzustellen. Sie sind jünger als ich, Lord Peter, Sie gehören der Generation meines Sohnes an und werden vielleicht verstehen, daß zwischen uns – obwohl er nicht schlecht war, nicht verdorben, das werde ich niemals glauben – nicht dieses unbedingte Vertrauen bestand, das zwischen Vater und Sohn herrschen sollte. Zweifellos ist das weitgehend meine Schuld. Wenn nur seine Mutter noch gelebt hätte –«
    »Aber lieber Herr Pfarrer«, sagte Wimsey leise, »ich verstehe vollkommen. Das geschieht häufig. Ich würde sogar sagen, es geschieht immerzu. Nachkriegsgeneration und so. Viele kommen da ein wenig aus dem Tritt – ohne eigentlich Böses zu wollen oder zu tun. Können eben nur den Älteren nicht ins Auge sehen. Meist gibt sich das mit der Zeit. Vorwürfe kann man im Grunde niemandem machen. Wilder Hafer und – äh – dergleichen eben.«
    »Ich konnte«, sagte Mr. Boyes traurig, »seine Ansichten nicht billigen, die so gegen Religion und Sitte gingen – vielleicht habe ich meine Meinung zu deutlich gesagt. Wenn ich mehr Verständnis aufgebracht hätte –«
    »Das führt zu nichts«, sagte Wimsey. »Jeder muß damit für sich allein fertig werden. Und wenn einer Bücher schreibt und gerät in diese Kreise, dann neigt er meist dazu, sich ziemlich lautstark auszudrücken, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
    »Kann sein, kann sein. Aber ich mache mir Vorwürfe. Das hilft Ihnen natürlich überhaupt nicht weiter. Verzeihen Sie mir. Wenn ein Fehler gemacht wurde – und die Geschworenen waren ja offenbar nicht zufrieden –, müssen wir alle Kraft daransetzen, ihn zu berichtigen. Wie kann ich Ihnen behilflich sein?«
    »Nun, erstens –«, sagte Wimsey, »ich stelle diese Frage wirklich ungern – hat Ihr Sohn jemals etwas zu Ihnen gesagt oder Ihnen geschrieben, was es Ihnen als möglich erscheinen lassen könnte, daß er – des Lebens überdrüssig war oder so etwas? Entschuldigen Sie.«
    »Nein – wirklich nicht. Diese Frage wurde mir natürlich auch schon von der Polizei und der Verteidigung gestellt, und ich kann aufrichtig sagen, daß ein solcher Gedanke mir nie gekommen ist. Dazu hatte ich keinerlei Anlaß.«
    »Auch nicht, nachdem er sich von Miss Vane getrennt hatte?«
    »Auch dann nicht. Ich hatte den Eindruck, daß er darüber mehr wütend als verzweifelt war. Ich muß auch sagen, ich war sehr überrascht, zu hören, daß sie nach allem, was zwischen ihnen gewesen war, nicht seine Frau werden wollte. Das begreife ich noch immer nicht. Ihre Weigerung muß für ihn ein schwerer Schock gewesen sein. Er hatte mir zuvor so gutgelaunt darüber geschrieben. Vielleicht erinnern Sie sich noch an den Brief?« Er suchte in einer unaufgeräumten Schublade herum. »Ich habe ihn hier, wenn Sie ihn sich ansehen möchten.«
    »Vielleicht lesen Sie mir nur den betreffenden Absatz vor, Sir«, schlug Wimsey vor.
    »Ja, gewiß. Lassen Sie mich mal sehen. Ja. ›Deinem Moralempfinden wird es sicher guttun, Vater, wenn Du hörst, daß ich mich

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