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Starkes Gift

Starkes Gift

Titel: Starkes Gift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy L. Sayers
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schon so manche alberne alte Frau vor mir.
    Könntest Du also einen entsprechenden Vertrag aufsetzen und zu mir bringen, damit ich ihn unterschreibe? Bei der Gelegenheit möchte ich Dir auch Instruktionen für mein Testament geben.
    Nochmals herzlichen Dank für Deine guten Wünsche,
    Deine Dich liebende
Tante Rosanna Wrayburn«
     
    »Hurra!« sagte Miss Murchison. »Demnach gibt es ein Testament! Und dieser Treuhandvertrag – der ist wahrscheinlich auch wichtig.«
    Sie las den Brief noch einmal, überflog die Vertragsbestimmungen, merkte sich besonders, daß Norman Urquhart als einziger Treuhänder benannt war, und prägte sich schließlich von der Aufstellung der Wertpapiere die wichtigsten und größten Posten ein. Dann legte sie die Dokumente in ihrer ursprünglichen Reihenfolge in die Kassette zurück, schloß sie ab – diesmal bewegte sich der Riegel weich wie Butter –, stellte sie an ihren Platz, stapelte die anderen darauf und saß gerade wieder an ihrer Schreibmaschine, als Mrs. Hodges hereinkam.
    »Eben fertig, Mrs. Hodges«, rief sie fröhlich.
    »Das hab ich mich gerade gefragt«, sagte Mrs. Hodges.
    »Ich hab Ihre Schreibmaschine nicht mehr gehört.«
    »Ich habe mir mit der Hand etwas notiert«, erklärte Miss Murchison. Sie knüllte die verschriebene erste Seite der eidesstattlichen Erklärung zusammen und warf sie mitsamt der angefangenen Neuschrift in den Papierkorb. Dann holte sie aus ihrer Schreibtischschublade eine fehlerlose erste Seite, die sie zu diesem Zweck schon vorher geschrieben hatte, heftete sie zu den übrigen, steckte das Original und die erforderliche Zahl von Durchschlägen in einen Umschlag, verschloß ihn, adressierte ihn an die Firma Hanson Hanson, zog Hut und Mantel an und ging hinaus, nachdem sie Mrs. Hodges an der Tür noch freundlich gute Nacht gesagt hatte.
    Ein kurzer Fußweg brachte sie zur Firma Hanson, wo sie die Schriftstücke in den Briefkasten steckte. Dann ging sie hurtigen Schrittes, ein Liedchen vor sich hin summend, auf die Bushaltestelle an der Ecke Theobald’s und Gray’s Inn Road zu.
    »Ich glaube, jetzt habe ich ein kleines Abendessen in Soho verdient«, dachte Miss Murchison.
    Sie summte immer noch, als sie vom Cambridge Circus in die Frith Street einbog. »Was ist das nur für eine blöde Melodie?« fragte sie sich mit einemmal. Nach kurzem Überlegen fiel es ihr dann ein: »Strömen durch das Tor, strömen durch das Tor …«
    »Ach du liebes bißchen!« sagte Miss Murchison. »Langsam fange ich wohl an zu spinnen.«

15. Kapitel
    Lord Peter gratulierte Miss Murchison und lud sie zu einem ziemlich erlesenen Mittagessen ins Rules ein, wo es für Leute, die so etwas zu schätzen wissen, einen besonders guten alten Kognak gibt. So kam es, daß Miss Murchison etwas spät ins Büro zurückging und in der Eile vergaß, die Dietriche zurückzugeben. Aber bei gutem Wein und angenehmer Gesellschaft kann man nicht immerzu an alles denken.
    Wimsey seinerseits war unter Aufbietung der allergrößten Selbstbeherrschung nach Hause gefahren, um nachzudenken, anstatt auf dem schnellsten Wege ins Holloway-Gefängnis zu eilen. Wenngleich es ein Gebot der Nächstenliebe wie auch der Notwendigkeit war, die Untersuchungsgefangene aufzumuntern (damit entschuldigte er jedenfalls seine fast täglichen Besuche), konnte er sich doch nicht darüber hinwegtäuschen, daß es eben noch nützlicher und wohltätiger wäre, den Beweis für ihre Unschuld herbeizuschaffen. Und auf diesem Gebiet hatte er bisher noch keine großen Fortschritte gemacht.
    Die Selbstmordtheorie hatte ja recht hoffnungsvoll ausgesehen, als Norman Urquhart ihm den Testamentsentwurf zeigte; aber nun war sein Glaube an diesen Entwurf gehörig erschüttert worden. Zwar bestand immer noch eine schwache Hoffnung, das Päckchen mit dem weißen Pulver aus den Neun Ringen zu finden, aber die Tage vergingen unbarmherzig, und mit ihnen schrumpfte diese Hoffnung nahezu auf Null. Es wurmte ihn, daß er in dieser Angelegenheit nichts tun konnte – am liebsten wäre er selbst in die Gray’s Inn Road gefahren, um in der Umgebung der Neun Ringe jeden Stein umzudrehen und alle in Frage kommenden Personen ins Kreuzverhör zu nehmen und erbarmungslos auszuquetschen, aber er wußte, daß dies die Polizei viel besser konnte als er.
    Warum hatte Norman Urquhart versucht, ihn mit dem Testamentsentwurf irrezuführen? Er hätte ohne weiteres jede Auskunft verweigern können. Irgendwo mußte da etwas faul sein. Wenn aber

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