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Starkes Gift

Starkes Gift

Titel: Starkes Gift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy L. Sayers
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Wasserkessel kann nicht unbegrenzt Hitze absorbieren. Nach etwa sieben Minuten, die Miss Climpson allerdings wie Stunden vorkamen, hielt sie mit schlechtem Gewissen den Umschlag in den heißen Dampfstrahl.
    »Ich darf nichts überstürzen«, ermahnte sie sich, »o ihr Heiligen, ich darf nichts überstürzen, sonst mache ich den Umschlag noch kaputt.«
    Sie schob den Brieföffner unter die Klappe; sie löste sich langsam; gerade war sie auf, als im Flur Miss Booths Schritte ertönten.
    Miss Climpson warf flink den Brieföffner hinter den Gasherd und schob den Umschlag mit zurückgelegter Klappe, damit er sich nicht wieder zuklebte, hinter ein Geschirrschränkchen an der Wand.
    »Das Wasser ist fertig«, rief sie vergnügt. »Wo sind die Flaschen?«
    Es spricht sehr für ihre guten Nerven, daß sie die Flaschen mit ruhiger Hand füllte. Miss Booth dankte ihr und ging, in jeder Hand eine Flasche, wieder nach oben.
    Miss Climpson holte das Testament aus seinem Versteck, zog es aus dem Umschlag und überflog in aller Eile seinen Inhalt.
    Es war kein langes Schriftstück und trotz der juristischen Verklausulierungen leicht verständlich. Drei Minuten später hatte sie es schon wieder in den Umschlag gesteckt, die Gummierung angefeuchtet und die Klappe zugeklebt. Sie steckte den Umschlag in die Tasche ihres Unterrocks – denn ihre Bekleidung war von der praktischen, altmodischen Art – und begann in den Geschirrschränken zu suchen. Als Miss Booth wiederkam, war sie friedlich beim Teekochen.
    »Ich dachte, das würde uns nach all den Mühen guttun«, bemerkte sie dazu.
    »Eine sehr gute Idee«, sagte Miss Booth. »Ich wollte das auch gerade vorschlagen.«
    Miss Climpson trug die Teekanne ins Wohnzimmer und überließ es Miss Booth, mit Tassen, Milch und Zucker nachzukommen. Nachdem die Teekanne auf dem Kamineinsatz stand und das Testament unschuldig wieder auf dem Tisch lag, lächelte sie und atmete tief auf. Ihre Mission war erfüllt.
     
    Brief von Miss Climpson an Lord Peter Wimsey:
    »Dienstag, 7. Januar 1930
    Lieber Lord Peter,
    wie ich Ihnen schon heute morgen in meinem Telegramm mitgeteilt habe, war meine Arbeit ERFOLGREICH ! !! Wie ich allerdings meine Methoden vor meinem Gewissen rechtfertigen soll, weiß ich noch nicht. Aber ich glaube, die Kirche sieht für bestimmte Berufe, wie den eines Kriminalpolizisten oder eines SPIONS in KRIEGSZEITEN , die Notwendigkeit der Täuschung ein, und ich hoffe, daß man meine MACHENSCHAFTEN auch unter diese Kategorie fallen lassen kann. Aber von meinen religiösen Skrupeln möchten Sie ja jetzt bestimmt nichts hören! Ich werde mich also beeilen, Ihnen mitzuteilen, was ich ENTDECKT habe!!!
    In meinem letzten Brief habe ich Ihnen den Plan erklärt, den ich mir zurechtgelegt hatte, so daß Sie schon wissen, was Sie mit dem Testament selbst machen sollen, das heute morgen getreulich per Einschreiben und adressiert an Mr. Norman Urquhart abgeschickt wurde. Er wird sich wundern, wenn er es bekommt!!! Miss Booth hat einen hervorragenden Begleitbrief dazu geschrieben, den ich gelesen habe, bevor er abging, und in dem sie die Umstände erklärt und KEINE Namen nennt! Ich habe an Miss Murchison telegrafiert, daß sie das Päckchen erwarten soll, und ich hoffe, sie kann es bewerkstelligen, bei der Öffnung zugegen zu sein, damit es für die Existenz des Testaments einen weiteren Zeugen gibt. Ich rechne jedenfalls nicht damit, daß er es wagen wird, es einfach zu unterschlagen. Vielleicht schafft Miss Murchison es sogar, es genau zu LESEN , wozu ich keine Zeit hatte (es war alles sehr abenteuerlich, und ich freue mich schon darauf, Ihnen ALLES zu erzählen, wenn ich zurück bin), aber für den Fall, daß es ihr nicht möglich ist, gebe ich Ihnen hiermit den ungefähren Inhalt wieder.
    Der gesamte Besitz besteht aus Immobiliarvermögen (Haus und Grundstück) und Mobiliarvermögen (bin ich nicht gut mit juristischen Fachausdrücken?), deren Wert ich nicht genau errechnen konnte. Aber das Wesentliche ist dies:
    Das Immobiliarvermögen geht voll und ganz an Philip Boyes. Fünfzigtausend Pfund in bar gehen ebenfalls an Philip Boyes.
    Das Übrige (nennt man es nicht Nachlaßrest ?) geht an Norman Urquhart, der als einziger Testamentsvollstrecker genannt ist.
    Ein paar kleine Vermächtnisse gehen an Hilfswerke für Theaterleute, die ich mir nicht im einzelnen gemerkt habe.
    In einem besonderen Absatz erklärt die Erblasserin, daß sie Philip Boyes den größten Teil ihres Vermögens vermacht,

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