Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Stars & Stripes und Streifenhörnchen

Titel: Stars & Stripes und Streifenhörnchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Streck
Vom Netzwerk:
Massachusetts. Sie ließ mich nicht mehr los, die Obsession. Wir sahen auf dieser Reise auch noch die weltgrößte Schneeschaufel, das weltgrößte Holzgewehr, den weltgrößten Korkenzieher und die geografische Mitte Nordamerikas, was insofern bemerkenswert war, weil sie in Rugby, North Dakota, neben den USA und Kanada auch Mexiko zu Nordamerika zählen. Das erklärt die geografische Mitte ausgerechnet in Rugby. Es gibt in Amerika noch eine Reihe von anderen Orten, die für sich die geografische Mitte reklamieren. Rugby reichte uns vorerst.
    Frau und Töchter nahmen meine Obsession zunächst gelangweilt, dann zunehmend genervt hin, aber der innerfamiliäre Friede auf dieser Reise geriet nur einmal ernsthaft in Gefahr, als ich in South Dakota beschloss, das weltweit einzige Mais-Museum, den »Corn Palace«, zu besuchen. »Ist Papa verrückt?«, fragte die Jüngere, und die Ältere sprach: »Gleich nebenan ist Mount Rushmore, und du willst in ein Mais-Museum?«.
    Ich wollte.
    Als ich in Minot, North Dakota, darauf bestand, das Grabmal eines norwegischen Einwanderers, der die Telemark-Landung beim Skispringen erfunden hatte, anzuschauen, wurde es selbst der an sich engelsgeduldigen Frau des Hauses zu viel – »auch wenn du deinen Töchtern Orte zeigen willst, die kein Tourist besucht: Der tote Norweger geht zu weit«. Wir strichen das Grab und hielten uns zeitweilig an Ziele von touristischem Charakter. Die Badlands, Custer National Park, Mount Rushmore. Dort, unter dem steinernen Antlitz der vier Präsidenten, wurde die ältere Tochter Zeuge eines denkwürdigen Telefonats. Ein vollbärtiger Herr, den Motorrad-Helm und ein T-Shirt als Besitzer einer Harley Davidson auswiesen, schrie in sein Handy: »Ihr glaubt gar nicht, wo ich hier gerade stehe. An dem Berg, wo Spielberg die ›Unheimliche Begegnung der dritten Art‹ gefilmt hat.« Das war ein definitives Highlight unserer Reise.
    Wir fuhren durch ärmliche Indianerreservate und sahen historische Stätten wie Wounded Knee, den Ort, an dem US-Soldaten Lakota-Indianer massakriert hatten, und kurz drauf Custer's Last Stand, den Ort, wo Lakota-Indianer die siebte Kavallerie inklusive General Custer massakriert hatten. Abends trafen Mann und Frau des Hauses in einer Bar in Billings, Montana, den Flathead-Indianer »Standing Grizzly«, der mit richtigem Namen Michael Durglo heißt und zu unserem Erstaunen einen deutschen Opa hatte. Mit ihm diskutierten wir über Indianer und Reservate und Wounded Knee und Custer's Last Stand und entschuldigten uns stellvertretend für alle Bleichgesichter für die Verbrechen an den Indianern. Aber »Standing Grizzly« waren die Massaker von damals ziemlich schnuppe, er war jetzt Sozialarbeiter und Anhänger der Boston Red Sox. Michael schrieb seinen indianischen Namen auf eine Serviette – ectwés smxe -sprach es dreimal vor und sagte dann: »Jetzt ihr.« Lautmalerisch erinnerte sein Name an eine Mischung aus Flämisch und Deutsch, was entweder mit »Standing Grizzly«'s deutschem Opa zu tun hatte oder mit der indianischen Vorliebe für den gemeinen Rachenlaut. Frau und Mann, rachenlaut-geübt, stellten sich zu seiner erkennbaren Freude beim Nachsprechen gar nicht so dämlich an. Darauf stießen wir an. Wir hatten viel Spaß an diesem Abend trotz Wounded Knee und Custer's Last Stand. Zum Abschied tauschten wir Telefonnummern.
    Tags drauf erreichte die Kleinfamilie das Etappenziel »Lake Upsata Guest Ranch«, welche von der liebenswerten Familie Gilchrist geleitet wurde. Sie hatten fünf Hunde und 30 Pferde für die Frauen des Hauses und eine Terrasse mit Seeblick und Flaschenbier für den Mann. Die Ranch war ein Mikrokosmos der amerikanischen Gesellschaft. Die Gäste waren Anwälte, Ärzte, Bauern, Hausfrauen, Klempner, Journalisten, Polizisten und Millionäre wie George, der in Tennessee Pferde züchtete und neben viel Geld auch eine Frau besaß, die auf den Namen Tinkerbell gehorchte. George und Tinkerbell hatten eine gemeinsame Tochter, Jennifer, die wiederum einen eigenen Diener besaß. Abends nach dem Essen, viel Fleisch und wenig Gemüse, saßen wir alle gemeinsam auf der Terrasse. Der Diener ruderte Jennifer über das Gewässer, sie angelte mit Shrimps als Ködern, die der Diener an die Haken applizierte. John, Anwalt aus Atlanta, und der Mann tranken Flaschenbier der unvergesslichen Marke »Trout Slayer«, Forellen-Schlächter, und machten Witze über Shrimp-Angeln, und ich brachte John bei, wie man »Standing Grizzly« auf

Weitere Kostenlose Bücher