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Starters

Starters

Titel: Starters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lissa Price
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holte unseren Holo-Frame herunter. Das machte er hin und wieder, wenn er besonders traurig war und nicht einschlafen konnte. Er hielt ihn in der Handfläche und ging die einzelnen Holo-Videos durch – die Familie am Strand, wir Kinder beim Spielen im Sand, Dad bei Zielübungen am Schießstand, die Hochzeit unserer Eltern. Mein Bruder stoppte an der gleichen Stelle wie immer – einer Aufnahme unserer Eltern, entstanden drei Jahre zuvor während eines Segeltörns, kurz bevor die Kämpfe im Pazifik begonnen hatten. Beim Klang ihrer Stimmen wurde mir immer noch schwer ums Herz. »Tyler, du fehlst uns sehr. Und Grüße und Küsse an dich, Callie. Pass gut auf deinen Bruder auf!« Im ersten Monat war ich stets in Tränen ausgebrochen, wenn ich diese Worte hörte. Das war vorbei. Inzwischen klangen sie hohl wie namenlose Schauspieler in einem Film ohne Titel.
    Tyler weinte nie. Er prägte sich ihre Stimmen immer wieder ein. So waren Mom und Dad jetzt für ihn.
    »Okay, genug für heute. Zeit fürs Bett.« Ich griff nach dem digitalen Bilderrahmen.
    »Nein. Ich will mich erinnern.« Er sah mich bittend an.
    »Hast du Angst, dass du sie vergisst?«
    »Vielleicht.«
    Ich wies auf die Leuchte, die um sein Handgelenk geschnallt war. »Weißt du noch, wer sie erfunden hat?«
    Tyler nickte. »Dad.«
    »Genau. Mit einigen anderen Wissenschaftlern zusammen. Also, wann immer du dieses Licht siehst, denk daran, dass Dad über dich wacht.«
    »Tust du das?«
    »Jeden Tag.« Ich strich ihm über das Haar. »Keine Sorge, wir werden sie niemals vergessen. Ehrenwort.«
    Schließlich einigten wir uns auf ein Tauschgeschäft. Tyler bekam anstelle des Bilderrahmens sein Lieblingsspielzeug, einen kleinen Robodog – das einzige Spielzeug, das ihm geblieben war. Das Ding schaltete auf Softmodus und lag wie ein echter Hund in seinem Arm. Mal abgesehen von den grünen Leuchtaugen.
    Ich stellte den Rahmen wieder auf die Schreibtischplatte über uns. Tyler hustete, und ich zog ihm den Schlafsack bis ans Kinn hoch. Jedes Mal, wenn er hustete, erinnerte es mich an die Diagnose des Klinikarztes, der ihn untersucht hatte. »Seltene Lungenkrankheit. Vielleicht heilbar. Vielleicht auch nicht.« Ich sah, wie sich seine Brust hob und senkte, und hörte, wie seine rasselnden Atemzüge allmählich ruhiger und tiefer wurden. Ich kroch aus meinem Schlafsack und spähte um die Schreibtische herum.
    Michaels Handleuchte erhellte die Wand. Ich warf mein Kapuzenshirt um die Schultern und lief barfuß zu ihm hinüber.
    »Michael?«, wisperte ich.
    »Komm rein!« Er dämpfte seine Stimme ebenfalls.
    Ich war gern in seiner kleinen Festung. Er hatte sie mit Bleistift- und Kohlezeichnungen ausgeschmückt und in jedem freien Winkel Papier, Stifte und sonstiges Arbeitsgerät verstaut. Michael skizzierte Szenen unserer Stadt, schilderte aus seiner Sicht die Straßenschluchten mit ihren leeren Häusern, dazu die Horden von Halbwüchsigen – die Gleichgesinnten, aber auch die Renegaten mit ihren Handleuchten und zerlumpten Klamotten, die sich Wasserflaschen um die dürren Hüften geschnallt hatten und sich mit Gewalt nahmen, was sie zum Überleben brauchten.
    Er legte sein Buch weg, lehnte sich an die Wand und deutete auf seine Armeedecke.
    Dann sah er mich prüfend an. »Also – was ist mit deinem Gesicht passiert?«
    Ich betastete meine Wange. Sie fühlte sich heiß an. »Sieht es so schlimm aus?«
    »Tyler hat nichts gemerkt. Wahrscheinlich, weil es hier drinnen so dunkel ist.«
    Ich nahm ihm gegenüber im Schneidersitz Platz.
    »Renegaten?«
    Ich nickte. »Mir fehlt nichts weiter.«
    »Wie war es bei den Enders?«
    »Irgendwie seltsam.«
    Er ließ den Kopf hängen und schwieg.
    »Was ist los?«, fragte ich.
    Als er aufschaute, merkte ich, dass er rot angelaufen war. »Ich hatte solche Angst, du würdest nicht zurückkommen.«
    »Ich hab’s doch versprochen, oder?«
    Er nickte. »Schon.« Plötzlich hatte er feuchte Augen. »Aber ich dachte … wenn du nun nicht zurückkommen könntest?« Seine Stimme war kaum hörbar.
    »Ach, Michael.« Ich legte ihm eine Hand auf die Schulter.
    Er wischte sich mit dem Handrücken die Tränen ab. »Also, wie findest du den Laden?«
    »Hast du gewusst, dass die dir einen Neurochip einsetzen?« Ich deutete auf meinen Hinterkopf. »Hier.«
    »Wo? Lass sehen!« Er berührte mein Haar.
    »Nein, doch nicht sofort, Dummkopf. Ich wollte mir die Sache erst mal ansehen.«
    Ich las die Sorge in seinen Zügen, bemerkte den weichen Blick, mit

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