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STASIRATTE

STASIRATTE

Titel: STASIRATTE Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jana Döhring
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durch den Raum ging. So weiß ich noch genau, wie ich bei seinem Anblick aufgesprungen bin, um ihm hinterherzulaufen und ihm möglichst unauffällig einen mittelgroßen Geldschein in die Tasche seines blauen Kittels zu schieben und dabei noch schnell mein Anliegen vorzutragen. Diese notwendige, aber peinliche Aktion führte wenigstens dazu, dass sich mir der im Voraus Belohnte zuwandte.
    Nun konnte es passieren, dass der Fehler zwar bald gefunden, das nötige Ersatzteil aber nicht vorrätig und auch vorerst nicht zu erwarten war. Das war der Moment, in dem der Kunde wieder aktiv mit in den Reparaturprozess eingebunden wurde. „Haben Sie nicht jemanden an der Hand, der Ihnen das irgendwoher besorgen könnte?“
    Mein erstes Auto war ein zehn Jahre alter Golf, den ich über mehr als drei Ecken vom Erstbesitzer übernehmenkonnte. Es war eines jener 10000 West-Autos, welche die DDR Ende der Siebzigerjahre importiert hatten und nach undurchsichtigem Verteilungsschlüssel unters Volk brachten. Sicher nicht unberechtigt war die allgemeine Annahme, dass es sich bei den Begünstigten um verdiente Kader und Funktionäre handelte. Aber auch Leute, die für einen Viertakter eine langjährige Anmeldung besaßen und in der Lage waren, 20000 DDR-Mark hinzublättern, konnten an einen solchen Wagen kommen.
    Diesen Golfs folgten in den Achtzigerjahren einige tau-send Mazdas, Citroens und Volvos. Das Ganze hatte den höheren Sinn, das Straßenbild etwas internationaler zu gestalten und die allgemeine Unzufriedenheit mit der Versorgung ein wenig zu dämpfen.
    Mein himmelblaues Modell war über seine zehn Jahre lange Existenz bestens gepflegt worden und kostete deshalb bei der Anschaffung einfach noch mal seinen Neupreis nebst Vermittlungsgebühr.
    Da das sprichwörtlich Gute aus dem Westen kommt und insbesondere die D-Mark unser kleines eingemauertes Land am Leben erhalten konnte, erdachten findige Köpfe im Ministerium für Außenhandel so manche Möglichkeiten, um ein bisschen Mangel im Inland abzubauen und dafür an das West-geld anderer Leute zu kommen. Die Genex Geschenkdienst GmbH wurde in den späten fünfziger Jahren gegründet und war bis zur Wende ein erfolgreiches Unternehmen. Über den Katalog „Geschenke in die DDR“ wurden die Waren angeboten.
    Damit hatte der Verwandte oder Bekannte aus dem Wes-ten die Möglichkeit, seinen lieben Ossis genau das zu kaufen, was sie wünschten. Doch handelte es sich bei den angebotenen Waren nicht selten um Dinge aus ostdeutscher Produktion, die nur gegen Westgeld zu haben waren. Die Palette reichte von Lebensmitteln über Kosmetik, Kleidung und Möbelnbis hin zu Autos und Motorrädern. Hier konnte man dann ohne langes Warten einen Trabant für 8000 DM geschenkt bekommen.
    Dass dabei die Zwei-Klassen-Gesellschaft noch unterstützt wurde, war der DDR-Führung im Westgeldfieber anscheinend egal. Denn wer die Kontakte hatte und ohnehin Ostern und Weihnachten die herrlich duftenden Westpakete von drüben erhielt oder im Intershop einkaufen gehen konnte, hatte auch bei Genex die Nase vorn.
    Ganz persönlich profitierte ich im schwierigen Alter von dreizehn von Genex, als mein Vater eine kleine Erbschaft im Westen machte.
    Zu dieser Zeit fuhr meine Familie einen russischen Saporoshez SAS bzw. einen „T34 de luxe“ oder „Breshnews letzte Rache“, wie Spötter ihn nannten. Für dieses wegen seiner herben Optik und technischen Schwerfälligkeit unbeliebte russische Auto hatten sie sich entschieden, weil die Wartezeit mit etwa fünf Jahren für unsere Verhältnisse sensationell kurz war. Meine Eltern waren einfach froh, endlich etwas Fahrbares zu haben, ich jedoch hatte mich mit den Sticheleien meiner Schulkameraden auseinanderzusetzen.
    * * *
    Heute, zwanzig Jahre später, kann man alles kaufen oder anfertigen lassen, vielleicht sogar DDR-Flaggen-Postkarten im Tausenderpack, sofern man das nötige Kleingeld hat und die Geduld bei der Suche nach einem Anbieter.
    Als gestandener Ossi erlebe ich auch heute noch Momente, in denen die Warenflut mich schier zu überwältigen droht. Dann ist es einfach gut, nicht zu viel Spielraum bei der Auswahl zu haben und ziemlich genau zu wissen, wonach man sucht, um nicht mit großem Zeitaufwand sinnloses Zeug im Einkaufswagen aufzutürmen.
    Ich frage mich, wie viel Geld und Zeit Gerry investiert hat, um einen Stapel DDR-Fahnen-Postkarten zu erwerben. Lagen sie vielleicht einfach nur im Keller eines alten Freundes herum oder hat es richtig Mühe gemacht, sie

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