STASIRATTE
ändern, das wird schon, wirbelten die Gedanken durch meinen Kopf. Trotzig vermeldete ich dann: „Aber wir haben uns schon verabredet und es wäre sehr schön, wenn du mitkämst.“ Paul sagte lange nichts und sah mit genervtem Gesichtsausdruck an mir vorbei. Ich schwieg ebenfalls und spürte, wie das dunkle Gefühl der Verzweiflung in ganz kleiner Dosis in mir hochkam. Was war er für ein Mensch? Ich liebte ihn und musste ihm klarmachen, wie schön es sein könnte mit guten Freunden. Denn er hatte so gut wie keine. Alle Leute, die er mir bisher vorgestellt hatte, waren eher so etwas wie Geschäftspartner. Wenn er sie traf, so immer zu einem bestimmten Zweck.
Nun hatte er allerdings in mir auch eine hartnäckige Partnerin erwischt. So schnell gab ich nicht auf. Und tatsächlich, nach längerer intensiver Bearbeitung trug ich einen kleinen Sieg davon. Wir würden uns also mit Gerry und Sonja treffen. Doch es war, wie sich herausstellte, kein wirklicher Erfolg.
Als der Abend gekommen war, stand ich pünktlich um sieben Uhr vor dem Restaurant, in dem ich für uns vier reserviert hatte. Ich war die Erste, so war es fast immer. Paul hatte noch etwas zu besorgen, wie er es ausdrückte, und wollte unabhängig von mir erscheinen. Kurz nach mir trafen auch Gerry und Sonja ein. Sie waren bester Laune und in fröhlicher Erwartung auf einen netten Abend. Da Paul noch auf sichwarten ließ, gingen wir zu dritt schon mal rein und nahmen an unserem Tisch Platz. Das Restaurant befand sich im Prenzlauer Berg in einer Straße, die man eigens zur 750-Jahr-Feier von Berlin nach Gründerzeitvorbild rekonstruiert hatte. In dieser Häuserzeile wurden im Zuge der Sanierung auch alte Handwerksbetriebe wieder eröffnet und kleine Geschäfte eingerichtet, die mit ihrer Ausgestaltung zum musealen Bild der Umgebung passten. Wir fanden das Ergebnis zwar hübsch anzusehen, aber skurril. Denn schon eine Straße weiter standen die üblichen heruntergekommenen Altbauten, aus deren Dächern dünne Birken wuchsen.
Und wirklich zeigte sich wenige Monate später ein trauriges Bild: Durch die Verarbeitung minderwertigen Materials waren Gefahrenquellen an den Fassaden entstanden. Um einen möglichen Abbruch abzufangen, wurden unter den Balkonen verstärkende Bretterverschläge angebracht, die durch Holzstützen gehalten wurden, die bis auf die Fußwege reichten und dort verankert waren.
Das Restaurant imitierte den Stil des alten Berlin. Die Dekoration glich einem Trödelmarkt und auf der Speisekarte standen Berliner Kartoffelsuppe, Berliner Eisbein, Sülze, Buletten und Schmalzbrot. Als wir das Angebot ausführlich genug begutachtet hatten, erschien der Kellner, um die Bestellung aufzunehmen. Noch nicht erschienen war Paul. Diese kleine Peinlichkeit lächelten und plauderten wir aber vorerst weg. Ein paar Biere und Zigaretten halfen uns dabei. Dabei merkte ich, wie faszinierend es war, Sonja beim Rauchen zuzusehen. Nie wieder habe ich jemanden so vornehm und elegant, und das völlig unbeabsichtigt, die Zigarette halten und daran ziehen sehen.
Während sie so schön rauchte und von ihrer neuen Wohnung erzählte, wurde ich beinahe ein bisschen neidisch auf die Harmonie der beiden. Sie hatten gemeinsameVorstellungen von der Zukunft, sahen sich glücklich an beim Pläneschmieden. Und ich wartete wieder mal auf Paul und bekam langsam Hunger. Da es nicht nur mir so ging, bestellten wir schon mal.
Und dann schneite er herein. Eine Stunde später als verabredet, ganz aufgelöst, wie immer. Paul faselte nachlässig eine Entschuldigung, lächelte abgehetzt in die Runde und zündete sich erst mal eine Zigarette an. Unsere lebhafte Stimmung fror etwas ein und wurde durch das Essen, das kurz danach servierte wurde, in eine andere Richtung gelenkt. Paul bestellte nur etwas zu trinken. Er hätte keinen Hunger, sagte er zu meiner erneuten Verblüffung. Also saß er abwartend da und sah uns mehr oder weniger gelangweilt beim Essen zu. Gerry versuchte, die Unterhaltung wieder aufzunehmen, und sprach von seinem Surfbrett und dass er es demnächst ausprobieren wolle. Da Paul völlig unsportlich war, ging dieser nette Versuch allerdings ins Leere. Gerry probierte es weiter mit dem universellen Thema Urlaub. Aber auch hier stockte es bald, da Paul behauptete, dafür hätte er gar keine Zeit. Also erzählte ich den anderen, wie mir mein Essen schmeckte. Dies war wieder nur Gesprächsstoff für drei von uns. Paul rutschte unruhig auf seinem Stuhl hin und her. Er müsse
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