STASIRATTE
Hotelhalle gut sichtbar für alle an einem massigen Schreibtisch und waren Ansprechpartner für kleine und große Störfälle, sowohl für die Gäste als auch die Mitarbeiter. Es wurde gemunkelt, dass sie im Bedarfsfall den direkten Kontakt zur Stasi hatten.
Jonathan faltete alles zusammen und beförderte die Akten zum Chef vom Dienst. Von meiner Position an der Bar konnte ich ihn nur sehen, aber nicht hören. Die beiden schienen sich nach kurzem Gespräch einig und Jonathan kehrte zurück.
„Wenn wir hier mit allem fertig sind, müssen wir noch et-was erledigen“, sagte er etwas unpräzise zu mir und wandte sich seiner Abrechnung zu.
„Was denn?“, war meine Frage.
„Wir müssen zu Protokoll geben, wie wir das Zeug gefunden haben.“
„Beim CvD?“
„Ja, so ungefähr.“
Ich verstand ihn nicht so genau, aber Jonathan konnte ein Gesicht aufsetzen, das klarmachte: Jetzt kommt nichts mehr. Also wartete ich ab.
Eine halbe Stunde später war das Geld gezählt, die Bar sauber und abgeschlossen. Ich postierte mich vor dem Tresen und wartete darauf, was nun geschehen würde. Jonathan trug seine Aktentasche unter dem Arm und kam zu mir nach vorn. Gemeinsam gingen wir in die Hotelhalle und zu den Aufzügen. Wortlos drückte er den Knopf für den Fahrstuhl und sah ernst auf die geschlossene Tür vor uns. Ich war inzwischen ein bisschen sauer über seine Geheimniskrämerei, aber auch gespannt darauf, was nun passieren würde.
Wir fuhren in die vierte Etage und Jonathan klopfte an eine Zimmertür. Es wurde sofort geöffnet und ein Mann im braunen Anzug mit sorgfältig gescheiteltem dunklen Haar öffnete die Tür.
„Kommen Sie doch bitte herein“, sagte er freundlich und wir folgten seiner Aufforderung. Ich sah mich um und zu meinem Erstaunen war dies hier kein Hotelzimmer, sondern ein Büro. Gleich vorn am Eingang stand ein Schreibtisch, an den wir uns setzen sollten. Jonathan hatte bisher noch kein Wort gesagt und setzte sich mit treuherziger Miene umständlich hin. Ich fand es jetzt zunehmend aufregender und konnte mir schon vorstellen, welcher Institution der Herr hier angehörte.
„Mein Name ist Strahl und ich bin hier im Haus für die Sicherheit der Gäste verantwortlich“, sagte er.
Genau, dachte ich, so siehst du auch aus. Stasi also, hier in der vierten Etage haben sie sich also verschanzt. Ob es hier Wanzen gibt? Meine Gedanken wirbelten umher, mir war ganz heiß und ich hörte Herrn Strahl fragen:
„Sie haben die Papiere gefunden?“ Er hatte sich mir zugewandt und ich nickte freimütig. „Dann erzählen Sie mal, wer die liegen gelassen hat und wann. Alles, was Ihnen so dazu einfällt.“
Ich überlegte kurz und sagte ihm das Wenige, was es dazu zu sagen gab. Er notierte sich etwas dabei und Jonathan sah mich an wie ein Lehrer seinen Schüler vor der Prüfungskommission. Er war total verkrampft und wirkte ängstlich. Ich dagegen fand die Situation eher ein bisschen abenteuerlich.
Nach ein paar Minuten war auch schon alles vorbei. Herr Strahl ließ uns noch ein Papier unterzeichnen, auf dem zu lesen war, dass wir über Fund und Fundauswertung absolutes Stillschweigen zu bewahren hatten. Wir unterschrieben, verabschiedeten uns und fuhren wieder nach unten. Die Tür vom Fahrstuhl hatte sich gerade geschlossen, als Jonathan das erste Mal wieder unaufgefordert zu sprechen begann: „Was wir hier eben erlebt haben, das darfst du niemandem erzählen, nicht einmal deiner Mutter!“ Ich runzelte die Stirn und verstand die Dimension nicht, die sein Verbot hier auftat. Deshalb ließ ich das auch nicht unwidersprochen: „Was ist denn passiert, waren das Umsturzpläne? Oder die Zeichnung einer Wunderwaffe ...?“, versuchte ich mich über das Ganze lustig zu machen. Doch Jonathan, auch sonst nicht gerade für seinen Humor bekannt, duldete keinen Spaß. „Du hast darüber absolut zu schweigen, das hast du gerade unterschrieben und es hat sicher seine Gründe.“ Ich war platt. Er hatte richtig dichtgemacht. „Ja, ist schon okay“, sagte ich noch, um ihnversöhnlich zu stimmen. Was war nur mit ihm los, fragte ich mich. Und was waren das für Papiere, dass solch ein Aufhebens darum gemacht wurde?
Ich habe es nie erfahren.
* * *
„Ich übernehme die Tische dann so lange für Sie.“ Mein Chef riss mich aus meinen Überlegungen. „Ja, danke“, antwortete ich, etwas unsicher in der Erwartung des Kommenden. Also machte ich mich auf den kurzen Weg, quer durch die Hotelhalle zu den Aufzügen. Ich fuhr
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