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STASIRATTE

STASIRATTE

Titel: STASIRATTE Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jana Döhring
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ich tun? Die-se Frage hämmerte in meinen grauen Zellen scheinbar immer auf die gleiche Stelle und ich bekam Kopfschmerzen.
    Ich hatte viele Bekannte und einige Freunde, Verwandte, Kollegen. Wen auch immer ich ins Vertrauen ziehen würde, könnte selbst Zuträger sein. Das hätte bedeutet, dass ich schon gleich das erste Verbot überschritten und mich zudem unnötig geoutet und unmöglich gemacht hätte.
    Meine Eltern? Sie zu fragen, was ich tun sollte, schied schon deshalb aus, weil sie an meinem Verstand und ihrer Erziehung gezweifelt hätten. Niemals hätten sie mir zugeraten. Im Gegenteil, all ihre schlimmen Erfahrungen während und nach der Zeit des Mauerbaus hätten sie mir noch einmal erzählt und dringend appelliert, mich mit diesem Dämon nicht einzulassen. Mir war klar: Sollte ich mich trotzdem dazu entschließen, dürften sie es niemals erfahren.
    Einen besonderen Reiz hatte die Tatsache, dass ich wie Tausende andere glaubte, es käme ja niemals heraus. Wie auch? An eine Änderung des politischen Systems in der DDR dachte ich da ganz zuletzt. Mein Geburtsjahr 1961 stand in untrennbarem Zusammenhang mit der Zäsur der deutschen Teilung. Der Mauerbau hatte Tatsachen geschaffen. Während meine Eltern immer noch mit ohnmächtiger Wut dieses Jahres und besonders des 13. Augusts gedachten, war ich in dieses eingezäunte Land hineingeboren worden und hatte gelernt, darin zu leben.
    Meiner unbeschwerten Kindheit folgte eine Schulzeit, in der viele Kinder wie ich quasi ein Doppelleben führen muss-ten. Meine Eltern, die nach dem Schock des Mauerbaus langsam wieder Fuß gefasst hatten und sich ein normales Lebeneinrichten wollten, konnten mir nicht verschweigen, wie es wirklich in ihnen aussah. Sie hassten den Staat, der sie gezwungen hatte, in ihm zu leben. Und das vermittelten sie mir auch. Tagsüber auf den Arbeitsstellen waren sie gezwungen, sich angepasst oder zumindest nicht deutlich konträr zu verhalten. Zu Hause lebten sie aber nach der Devise, die Wahrheit beim Namen zu nennen und ihr Kind über die Umstände dieses eingemauerten und bevormundeten Lebens aufzuklären. So wurde es für mich zur Normalität, quasi in zwei Ebenen zu leben. Zu Hause konnte ich ganz normal sein und aussprechen, was auch immer ich dachte oder mich bewegte.
    Vor der Tür veränderte sich die Lage. Nun wurde geheuchelt oder geschwiegen, je nachdem. Es fing schon damit an, dass es nicht möglich war zu erzählen, was ich im Fernsehen gesehen hatte. Nur meinen Freundinnen, bei denen ich sicher war, dass sie genauso lebten wie wir. Dabei war es für mich doppelt schwer, da meine Eltern gar kein Ost-Fernsehen anschalteten. Ich durfte also über das West-Fernsehen kaum ein Wort verlieren und wusste über die eigenen Sender rein gar nichts.
    Das machte mir besonders große Schwierigkeiten in den Unterrichtsstunden am Montag, in denen häufig über aktuelle politische Themen gesprochen wurde. Nachdem ich durch Nichtwissen ein paar Mal aufgefallen war, fragte ich meinen Vater am Sonntagabend, ob er mir nicht mal das Wichtigste erzählen könnte, was man auch im Osten wissen durfte. Das tat er dann und ich fühlte mich ein wenig besser gerüstet.
    Dass ich zum Glück nicht die Einzige mit diesen Problemen war, fand ich erst nach und nach heraus. Das Erstaunlichste daran war, dass wir eine Mehrheit waren. Doch es gab auch die anderen, die Kinder der linientreuen Eltern, die uns ihre Überlegenheit auch gern spüren ließen, was noch zunahm, je älter und bewusster wir uns dieser Unterschiede wurden.
    Schon als Kind gehört man gern zur Gruppe und will nicht ausgegrenzt sein. Das wusste auch unsere Klassenlehrerin in der ersten Klasse bereits sehr genau, als sie mit Nachdruck verkündete: „Heute ist Pionier-Nachmittag, bitte kommt alle um fünfzehn Uhr in Raum drei, außer Jürgen, Angela, Bernd und Jana, die gehen ja zur Christenlehre.“ Sie grinste dazu verächtlich in unsere Richtung.
    Damals war ich froh, nicht die Einzige zu sein, die nicht zu den Jungpionieren durfte. Meine Eltern hatten es mir verboten, weil sie diese Organisation zu sehr an die Pimpfe der Nazizeit erinnerte. Weil ich diese Ausgrenzung, die von der Schule sehr deutlich betrieben wurde, nicht mehr aushalten konnte, nervte ich meine Eltern dann allerdings so lange, bis ich wenigstens in der vierten Klasse zu den Thälmann-Pionieren durfte.
    Aber mein Vater war noch nicht fertig mit meinen Lehrern. „Frag deinen Staatsbürgerkundelehrer doch mal, warum der

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