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STASIRATTE

STASIRATTE

Titel: STASIRATTE Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jana Döhring
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oder später klarzumachen, in welche Richtung man selbst dachte. Für mich war dies ein anerzogenes Ritual. Zigmal hatte ich miterlebt, wie Leute, die zum ersten Mal zusammenkamen, zielstrebig mit Andeutungen und mehrdeutigen Bemerkungen herauszufinden versuchten, welche politische Grundeinstellung der andere hatte.
    Hin und wieder kam es vor, dass wir Bekannte oder Bekannte dieser Bekannten verdächtigten, für die Stasi zu spionieren. Diese Leute wurden dann gemieden und wenn es sich nicht vermeiden ließ, achteten wir darauf, in ihrer Gegenwart zumindest nichts Negatives über den Staat oder den Sozialismus zu äußern.
    Vielleicht war das ein Überlebensinstinkt in der Diktatur. Stieß man mit kritischen Bemerkungen über Versorgung, Reisemöglichkeiten oder mit aktuellen Nachrichten, die man nur aus dem Westfernsehen haben konnte, auf Unverständnis, ging die Unterhaltung meist recht einsilbig weiter. Nun war zumindest wahrscheinlich, dass es sich hier um einen „Überzeugten“ oder „Hundertprozentigen“ handelte, mit dem man sich meist nicht weiter abgeben wollte. Wurde dagegen auf Sticheleien gegen das System dankbar eingegangen oder diese sogar noch ausgebaut, wähnten wir uns erst mal unter Gleichgesinnten, ohne jedoch eine grundsätzliche Wachsamkeit zu verlieren.
    Viele dieser Gedanken schossen mir hier, als ich Hauptmann Gerber gegenüber saß, durch den Kopf. Hinzu kam plötzlich noch ein Impuls aus einer ganz anderen Richtung.
    Die Stasi wollte also, dass ich ihr nützlich bin, überlegte ich. Konnten sie mir dann vielleicht auch nützlich sein? Wenn ich der mächtigen Organisation angehörte, würde diese dann mit mir nicht besonders großzügig umgehen? Bedeutete ein solches Arrangement nicht auch einen großen Vorteil für mich und mein Leben? Und etwas weiter gedacht: für meinen unkonventionell lebenden Freund? Verlockend für den Moment.
    Auf die rechtschaffene Idee, aufgrund meiner Erziehung und negativen Haltung zu diesem Staat rundheraus und strikt jede Mitarbeit abzulehnen, kam ich natürlich auch. Aber der opportunistische Teil in mir meldete sofort Bedenken der Art „Chance vertan“ an. Es stand also zur Wahl: Ehrbar und anständig bleiben und die Konsequenzen abwarten oder Zähne zusammenbeißen und mitmachen? In dieser Gesellschaft gab es eine Menge Leute, die ihre Nische gefunden und sich dort nett eingerichtet hatten. Mein Freund Paul und ich gehörten inzwischen auch dazu und dieser bescheidene Wohlstand wollte erhalten bleiben.
    Ich dachte an meinen guten Job, in dem ich unverschämt viel Geld verdiente. Würde man mich stillschweigend woandershin versetzen, wenn ich nicht kooperierte? Ich wusste nicht, wen ich fragen sollte. An wen sollte ich mich wenden, wessen Erfahrungen heranziehen? Es gab kein Internet, in dem ich im Verborgenen hätte forschen können, oder Selbsthilfegruppen für unentschlossene Stasispitzel.
    Aufgewühlt, aber auch neugierig auf mich selbst verließ ich das Stasizimmer mit der Vereinbarung, es mir bald zu überlegen. Hauptmann Gerber hatte formvollendet vor mir Aufstellung genommen und mir mit gewinnendem Lächeln die Hand zum Abschied geschüttelt. Er gab mir Zeit für die vermeintlich freie Entscheidung, eine Verpflichtungserklärung zu unterzeichnen.
    So ging ich zurück an meinen Arbeitsplatz und in die Bedenkzeit.
    Mein Chef fragte mich nichts, als ich zurückkam. Nicht, worum es ging, nicht, wen ich getroffen hatte, rein gar nichts. Ich wunderte mich ein bisschen darüber, war aber eher erleichtert, denn was hätte ich ihm erzählen sollen? Er übergab mir wieder meine Tische und ich versuchte, mich ganz gelassen zu geben. Doch ich war alles andere als bei der Sache. Völlig abgelenkt durch meine vielfältigen Überlegungen lief ich zwischen den Tischen umher und brachte manche Bestellung durcheinander.
    Warum ich?, fragte ich mich immer wieder. Wurde ich schon länger beobachtet und mein Charakter eingeschätzt? Hielten sie mich für besonders geeignet? Hatte mich gar jemand empfohlen? Auch wenn diese Überlegungen zu nichts führen konnten, drehte und wendete ich das Erlebte hin und her.
    Selbstverständlich war mir absolutes Stillschweigen auferlegt worden und genauso selbstverständlich verschwendete ich keinen Gedanken daran, mich an dieses Gebot zu halten.Ich konnte es im Gegenteil gar nicht abwarten, Paul von den Neuigkeiten zu erzählen.
    Die Stunden bis zum Feierabend waren an diesem Tag besonders zäh und wollten nicht enden. Was sollte

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