STASIRATTE
Verhältnis zum übrigen Land viel gebaut, gestaltet und restauriert. Zum Verdruss des Umlands passierte es nicht selten, dass Bauarbeiter nach Berlin abgezogen wurden, um Prestigebauten hochzuziehen. Auch die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln und Konsumgütern fand in Berlin bevorzugt statt.
In den Passagen am Fernsehturm gab es Läden der Kette „Delikat“, die auch sonst nur in den Bezirkshauptstädten zu fin-den waren und deren Aufgabe es war, ein höherwertiges Angebot an Nahrungs- und Genussmitteln vorzuhalten. Es wurden teure Importe aus dem Westen, aus DDR-Gestattungsproduktionen oder besonders hochwertige DDR-Produkte verkauft. Vor den Feiertagen bildeten sich dort lange Schlangen.
Da es ganz unmöglich ist, all das aufzuzählen, was es nicht oder in nicht ausreichenden Mengen gab, will ich jedoch einen Grundsatz der Partei- und Staatsführung nicht verschweigen: Grundnahrungsmittel wie Mehl, Butter und Zucker sollten immer vorrätig sein. Darauf und auf ein Dach über dem Kopf hatte der Bürger einen Anspruch.
Nach dieser Logik musste auch Hochprozentiges zur Grundnahrung gehören, denn Schnaps in mehreren Sortenfehlte auch in keinem Dorfkonsum. Bier dagegen konnte diesen Status nie erreichen. Besonders in den Sommermonaten, wenn es richtig heiß und der Durst groß wurde, steckten Pappschilder mit der Aufschrift „Nur drei Flaschen entnehmen!“ an den Bierkästen. Die Produktion kam der erhöhten Nachfrage bei hohen Temperaturen nicht nach, also wurde rationiert. Was wir allerdings nach Hause trugen, war nicht selten eine trübe Brühe, in der neben dem Gerstensaft noch allerlei Unbestimmbares herumschwamm. Mein Glück, dass ich zu diesen Zeiten noch kein Bier mochte.
Es gehörte ebenfalls zu unserem Alltag, dass bestimmte Möbel und Haustechnik nur an Berliner verkauft wurden. Denn wichtig für die DDR-Führung war, dass Berlin als Schaufenster zur Welt gut ausstaffiert war. Wo der Rest der Republik seine Sammeltassen hineinstellte oder seine Lebensmittel kühlte, war zweitrangig. Ausländische Gäste, denen der „hohe“ Lebensstandard des DDR-Bürgers und damit die Überlegenheit des Sozialismus vorgeführt werden sollte, kamen eben zumeist nach Berlin.
Meine Eltern profitierten von dieser Güterpolitik, als Berliner Freunde, die zwei Jahre lang für eine Karat-Schrankwand angemeldet waren, diese dann bei Auslieferung nicht mehr haben wollten. Meine Eltern übernahmen sie freudig und noch heute füllt sie als Erinnerung an den sozialistischen Realismus zu einem gut Teil das elterliche Wohnzimmer.
Im meinem Wohnzimmer war es inzwischen stockfinster und ich wachte aus meinen Erinnerungen auf. Nun war es wirklich Zeit aufzubrechen und die Meinung des Volkes aufzuspüren.
Als ich das Lokal betrat, war es wie immer gut gefüllt. Da ich mit Paul oft hierherkam, kannte ich die Wirtsleute und ein paar Stammgäste. Es roch etwas abgestanden nach Bier und Zigarettenqualm. Ich setzte mich an einen Tisch zu Leuten,die ich flüchtig kannte. Gleich wurde ich nach Paul gefragt. Es hatte sich auch hier längst herumgesprochen, dass er vieles besorgen konnte.
Als das Wort „Schlagbohrmaschine“ fiel, wurde ein Mann am Nebentisch aufmerksam. Er blickte schlecht gelaunt auf sein Bier und erzählte uns von der langwierigen Renovierung seiner Wohnung durch die kommunale Wohnungsverwaltung, und dass die Elektriker neue Leitungen auf Putz verlegt hatten, weil er es nicht rechtzeitig geschafft hatte, vorher Schlitze ins Mauerwerk zu ziehen. Uns anderen war diese Vorgehensweise geläufig und wir stimmten fatalistisch ein. „Da brauchtest du nach den Handwerkern wenigstens nicht so viel sauber zu machen“, meinte jemand sarkastisch.
Ich konnte darüber nur frustriert lachen, denn diese Erfahrung hatte ich auch schon gemacht. Nun lag das wohl nicht nur allein an der königlichen Stellung der Handwerker, die mit ihrer Rarität auch gut Geschäfte machten, sondern auch am fehlenden Werkzeug.
So lamentierten und moserten wir uns in Stimmung. Jeder konnte mit schlechten Erfahrungen bei Ämtern, Handwerkern oder der Versorgungslage im Allgemeinen und Speziellen aufwarten. Hier blieb man nicht unverstanden und der gemeinsame Frust wurde mit reichlich Bier heruntergespült. Mit jedem Glas Bier musste ich mehr über meinen Geheimauftrag kichern.
Einige Tage später lieferte ich meine Ergebnisse ab.
Mit klammheimlicher Schadenfreude schrieb ich Micha auf den vorbereiteten Bogen, dass angesichts der
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