STASIRATTE
sondern das wechselseitige Beeindrucken. Man traf sich gelegentlich in Begleitung unbedarfter junger Frauen, begann mit Schampus, plauderte ein bisschen über Nichtigkeiten, bis dann kein Halten mehr war, es dem anderen zu zeigen, was man wieder für brillante Geschäfte gemacht hatte. Wichtig war, darauf hinzuweisen, wie man andere ausgetrickst oder ihnen zuvorgekommen war.
Anfangs war ich von diesen Menschen fasziniert und wollte gern dazugehören. Sie schienen mir viel stilsicherer als ich und strahlten extremes Selbstbewusstsein aus. Die Frauen kannten sich sehr gut mit Männern aus und lachten über meine Ideen von Ehe und Familie. Noch mehr amüsierten sie sich darüber, dass wir auf dem Lande ein Haus bauen wollten. „Da ist ja gar nichts los, da versauert man ja. Ach, ihr tut mir leid“, musste ich mir immer wieder anhören. Doch da hatte ich noch Hoffnung, dass ich mit ein wenig Anstrengung und Anpassung bald eine von ihnen sein würde.
Als unsere Idee vom Landleben aber allmählich zur ständigen Lachnummer wurde, begann ich immer mehr einzusehen,dass Paul und ich gar nicht dazugehören sollten. Und wenn wir wieder allein waren, ließ auch Paul kein gutes Haar mehr an seinen Bekannten. Leider würde es auch in Zukunft kaum Gemeinsamkeiten geben, überlegte ich, keiner von denen interessierte sich für Bücher oder Museen, Politik ignorierten sie als eben nicht ihr Geschäft. Was zählte, waren Kohle, Klamotten, Feiern.
Und immer öfter fragte ich mich, ob ich nicht inzwischen in Gebieten unterwegs war, von denen aus es mir möglich wurde, die ärgerliche Konkurrenz auszuschalten oder wenigstens abzudrängen. Würde ich nicht auch Paul damit einen großen Dienst erweisen? Der Gedanke gärte über Monate in mir.
Hinzu kam, dass ausgerechnet der zu rettende Paul dem Charme einer attraktiven brünetten Freundin eines seiner Kumpels immer mehr verfiel. Als er sich schließlich anschickte, sie mir als Ratgeberin zu empfehlen, wies mir meine Eifersucht den Weg.
Ich fühlte mich überhaupt nicht schlecht, als ich meinem Führungsoffizier bei einem unserer Zusammenkünfte ein paar Brocken über meine Erlebnisse mit diesem illustren Kreis zuwarf. Micha, der sofort aufmerksam wurde, stellte natürlich die erwartete Frage: „Was sind das für Leute, was machen die?“ Ich erzählte ihm, was ich wusste. Aber das war nicht viel, was mir dummerweise erst auffiel, als ein leeres Blatt Papier vor mir lag. Meine Wut und mein vorschnelles Handeln wurden zur eigenen Peinlichkeit. Denn natürlich waren diese Geschäftemacher viel zu gerissen gewesen, um vor Dritten wirklich Brisantes rauszulassen.
Denn sicher war ich nicht die einzige Stasiratte unter ihnen gewesen.
* * *
Sechs Wochen, nachdem ich meine Klage beim Gericht eingereicht habe, erhalte ich Post von der Gegenseite. Das Gerichtschickt mir eine Abschrift eines Anwaltsschreibens, in dem ein Rechtsanwalt anzeigt, dass er Gerry vertreten würde.
Es gibt also endlich eine Reaktion. Gerry zeigt über seinen Anwalt an, dass er sich verteidigen werde. Zu gern hätte ich sein Gesicht gesehen, als er das Schreiben gelesen hat. Was ist in ihm vorgegangen, da er sich in keiner Weise als im Unrecht empfindet? Fragt er sich, wieso er das Kartenschreiben unterlassen soll, da er doch allen Grund dazu hat?
Der Brief, den der Anwalt mir sendet, beendet meine Hoffnungen auf ein simples Ende der Geschichte. Denn Verteidigung bedeutet erst mal ein Pingpong aus anwaltlichen Schreiben von hier nach da und von da nach hier bis zur Gerichtsverhandlung. Das könnte sich noch eine Weile hinziehen.
Mit dem Schreiben in der Hand denke ich darüber nach, wie es in der DDR mit unabhängigen Juristen ausgesehen hatte. Wer damals Anwalt werden wollte, war von der Zustimmung der SED abhängig und musste sich in den ersten zwei Jahren seines Studiums den Marxismus-Leninismus einhämmern, bevor er ein Gesetzbuch zu sehen bekam. War er dann mit der Ausbildung fertig, hatte er sich weiterhin dem Willen der Partei zu unterwerfen. Wozu brauchte ein DDR-Bürger überhaupt einen Rechtsanwalt? Womit sollte er denn nicht einverstanden sein und wogegen klagen im Arbeiter- und Bauernparadies? So gab es denn in den letzten Jahren für ungefähr siebzehn Millionen Einwohner ganze sechshundert zugelassene Rechtsanwälte im Land.
Gerry hatte also einen Verteidiger aufgesucht und ihm seinen Fall geschildert. Er hätte es einfacher haben können. Hätte er dem Gericht geschrieben, dass er vom weiteren
Weitere Kostenlose Bücher