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StatusAngst

StatusAngst

Titel: StatusAngst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alain de Botton
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uns steigen Tränen der Erleichterung und Dankbarkeit in die Augen, dass Komponist und Musiker uns und anderen die eigenen Seelenregungen hörbar und somit zugänglich machen. Stimmen, Violinen, Flöten, Kontrabässe, Oboen, Fagotte und Trompeten vereinen sich zu Klängen, die die innersten, verborgensten Bereiche unserer Psyche ans Licht bringen. Der öffentliche Charakter der Aufführung öffnet uns zudem die Augen dafür, dass die anderen, die die Musik offenbar ähnlich bewegt, nicht ganz so unbegreiflich sein können, wie wir geglaubt haben. Ihre Gefühle sind ähnlich gelagert, es rühren sie genau dieselben Klänge an, also haben wir, selbst wenn wir uns ganz unterschiedlich kleiden oder benehmen, im Kern etwas gemeinsam, was uns weit über das Erlebnis der Messe hinaus verbinden könnte. Eine Gruppe Unbekannter, auf den ersten Blick so fremd, nimmt durch die Macht der geistlichen Musik nach und nach Züge vertrauter Freunde an; wir durchdringen die steinernen Fassaden der Gesichter und werden, wenn auch nur kurz, der betörenden Vision der Verbundenheit teilhaftig.
     

 
4
     
    Gewiss, unser Eindruck von anderen fällt selten so günstig aus wie vielleicht ausgerechnet in einer Kathedrale. Die Außenwelt ist gewöhnlich schäbiger und gefährlicher, was unsere Tendenz, physisch wie psychisch auf Abstand zu gehen, eher verstärkt.
    Es gibt Länder, in denen der öffentliche Wohnungsbau, Verkehr, Bildungs- und Gesundheitssektor derart sind, dass der einzelne Bürger die Menge lieber meidet und sich hinter dicken Mauern verschanzt. Der Drang nach Status ist immer dort am stärksten, wo »gewöhnlich« ein Leben bedeutet, das nicht einmal ein durchschnittliches Maß an Würde und Komfort bereithält.
    Dann wieder gibt es, seltener, Gemeinden von oft stark christlicher (meist protestantischer) Prägung, wo der öffentliche Raum Geist und Architektur gewordene Ehrwürdigkeit scheint und wo deshalb der Drang, sich in ein privates Reich zurückzuziehen, sehr viel weniger ausgeprägt ist. Manch einer legt keinen großen Wert mehr auf persönlichen Glanz, wenn die Stadt und ihre Einrichtungen selbst glanzvoll genug sind. Ein ganz gewöhnlicher Bürger zu sein kann dann schon genügen. Die Bewohner Zürichs zum Beispiel drängt es weit weniger als etwa die von Los Angeles oder London, einen eigenen Wagen zu fahren und den Kontakt mit Fremden in Bus und Bahn zu meiden, weil die Stadt mit ihren sauberen, sicheren, beeindruckend pünktlichen und technisch hoch stehenden Straßenbahnen einen vorbildlichen Service bietet. Wozu allein fahren, wenn man für wenige Franken fürstlich von einem Ende der Stadt zum anderen befördert wird.
    Ein christlicher Grundsatz stünde auch der Stadt- und Gemeindepolitik gut zu Gesicht: Dass nämlich, sofern wir den Wert und die Würde eines jeden Menschen wieder achten lernen und, wichtiger noch, öffentliche Einrichtungen und Umgangsformen so gestalten, dass sie diese Achtung sichtbar werden lassen, das Gewöhnliche seinen Schrecken verliert, und der Drang, sich triumphierend hinter Mauern zu verschanzen, allmählich nachlässt — zum seelischen Nutzen aller.
    In der christlichen Idealgemeinschaft würde die Angst davor, Seite an Seite mit den Gewinnern leben zu müssen, bei einer annähernd gerechten Grundverteilung von Würde und Mitteln gemildert und im Zaum gehalten. Das Entweder-Oder von erfolgreich sein und florieren oder scheitern und verkümmern verlöre einiges von seiner Strenge.
     

    Züricher Straßenbahn

 
     
     
     
     
Der Doppelstaat
     
1
     
    Der Berufswahl Jesu Christi verdankt das Christentum eines seiner Leitmotive. Die Zimmerer Galiläas, immerhin Angelernte, übten ein unsicheres und selten lukratives Handwerk aus. Doch der gelernte Zimmermann Jesus Christus saß nach Bekunden des heiligen Petrus außerdem »zur Rechten Gottes« und war gesandt, uns von unseren Sünden zu erlösen. Dass einer zwei so unterschiedliche Identitäten in seiner Person vereinen konnte, zugleich Wanderhandwerker und heiliger Mann, wurde zur Grundlage der christlichen Auffassung des Status. Dieser Auffassung zufolge besitzt jeder Mensch einen irdischen Status, der durch Beruf, Vermögen und das Urteil anderer bestimmt wird, und einen spirituellen, für den die Reinheit der Seele und die Frage, ob man sich am Tage des Jüngsten Gerichts in Gottes Augen als würdig erweise, Ausschlag gebend sind. Der eine mag in irdischer Hinsicht reich und angesehen sein, spirituell jedoch seelenlos

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