StatusAngst
ihr Mächtigen, und verzaget!« zitiert Shelley die Inschrift am Sockel einer Ramses-Statue in seiner Dichtung »Ozymandias« (1818). Doch verzagen müssen nicht die Mächtigen und nicht einmal die Geringsten, denn Ramses II. liegt zertrümmert am Boden: »Rund um die Brocken/des kolossalen Wracks erstrecken sich/die einsam-flachen Wüsten grenzenlos und kahl.«
Gustave Doré, Der Neuseeländer, 1871
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Ruinen bezeugen, wie töricht unsere Angewohnheit ist, unseren Seelenfrieden den unbeständigen Manifestationen irdischer Macht zu opfern. Beim Betrachten von Trümmergestein wird die Angst um unsere eigenen Erfolge — oder deren Ausbleiben - gemildert. Was macht es schon, wenn wir in den Augen der anderen nicht viel gelten, wenn man uns nicht mit Denkmälern oder Umzügen ehrt und uns neulich bei der Zusammenkunft auch nur ein Lächeln geschenkt hat? Der ganze Zauber ist sowieso zum Untergang verurteilt, und irgendwann werden die Neuseeländer die Reste unserer Prachtstraßen und Bürotürme skizzieren. Im Angesicht der Ewigkeit schrumpft das, was uns umtreibt, zur Bedeutungslosigkeit.
David Roberts, Ansicht von Baalbek, 1842
David Roberts, Portal in Baalbek, 1842
Ruinen mahnen uns, unseren Ehrgeiz fahren zu lassen, unsere Bilder von Vollkommenheit und Erfüllung. Sie erinnern uns daran, dass wir der Zeit nichts entgegenzusetzen haben und dass wir Spielbälle in den Händen zerstörerischer Kräfte sind, die wir höchstens hinhalten, aber nicht besiegen können. Wir mögen hier und da kleine Siege erringen, ein paar Jahre lang eine gewisse Ordnung ins allgemeine Chaos bringen, doch irgendwann fällt alles in den Urzustand zurück. Wenn diese Aussicht eine tröstliche Wirkung hat, dann vielleicht deshalb, weil der größere Teil unserer Ängste daher rührt, dass wir unseren Angelegenheiten eine übertriebene Bedeutung beimessen. Wir werden von unseren eigenen Idealen gequält, von den schmerzhaft überspannten Vorstellungen vom Gewicht unseres Tuns.
Abendländische Moralisten haben daher früh erkannt, dass man die Ängste der Menschheit nicht mit optimistischen Parolen eindämmen kann, sondern im Gegenteil eher mit der Versicherung, dass alles die schlimmstmögliche Wendung nehmen wird: Das Dach wird einstürzen, die Bank wird in Trümmer fallen, wir werden sterben, alles, was wir lieben, wird verschwinden, alle unsere Errungenschaften und selbst unsere Namen werden restlos ausgelöscht werden. Die Trostwirkung solcher Vorstellungen resultiert möglicherweise daraus, dass wir intuitiv erfassen, wie eng unser Leid mit unserem Größenwahn verknüpft ist. Betrachten wir unsere kleinlichen Statusängste aus einem Abstand von tausend Jahren, erhaschen wir einen so flüchtigen wie befreienden Blick auf unsere eigene Bedeutungslosigkeit.
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Weite Landschaften können ähnlich Angst hindernd wirken wie Ruinen, denn sie repräsentieren unendlichen Raum so wie Ruinen unendliche Zeit - als Hintergrund, auf dem wir schwachen, hinfälligen Geschöpfe uns kaum wichtiger ausnehmen als Motten und Spinnen.
Wie groß die Unterschiede zwischen den Menschen auch sein mögen: Sie schrumpfen zu einem Nichts angesichts des Unterschieds zwischen dem mächtigsten aller Menschen und den großen Wüsten, hohen Gipfeln, Gletschern und Ozeanen der Welt. Es gibt so gewaltige Naturphänomene, dass die Unterschiede zwischen gleich welchen zwei Menschen lächerlich gering erscheinen. Wer die Weiten der Natur aufsucht, spürt sehr bald, dass das Gefühl der sozialen Bedeutungslosigkeit durch die tröstende Gewissheit der kosmischen Bedeutungslosigkeit alles Menschlichen abgelöst wird.
Überwinden lässt sich das Gefühl der Unwichtigkeit nicht dadurch, dass wir uns wichtig tun, sondern indem wir uns vor Augen führen, dass alle Menschen, relativ gesehen, unwichtig sind. Unseren Ärger, dass wir ein wenig kleiner als andere sind (Abb. 5), können wir durch die Ehrfurcht vor dem ersetzen, was Abermillionen Mal größer ist als wir, einer Kraft, die es uns möglicherweise drängt, Unendlichkeit zu nennen, Ewigkeit oder schlicht und vielleicht tatsächlich einfach: Gott (Abb. 6).
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Ein probates Mittel gegen das Gefühl der eigenen Bedeutungslosigkeit sind Reisen durch die Weite der Welt — realiter oder mittels der Kunst.
Frederic Edwin Church, Die Niagara-Fälle, 1857
Thomas Moran, Auf dem Weg zum Camp. Abend am Oberen Colorado, Wyoming, 1882
Albert Bierstadt, Westliche Landschaft,
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