Staub Im Paradies
lebenden Tamilen suchten sich einen Ehepartner aus ihrer alten Heimat, beziehungsweise ließen sich ihre Ehen dort arrangieren. Das behauptete zumindest die Studie.
»Rexon Nadesapilay wollte die für Lathan vorgesehene Frau, Vidya, freikaufen?«, hakte Gret nach.
»Verrückt, nicht?«
»Weißt du, um welche Summe es ging?«
»Nein.«
»Wurde das Geld je übergeben?«
»Da bin ich wirklich überfragt«, schüttelte Janani ihren Kopf. »Ich war ja nicht die Empfängerin.«
»Aber du müsstest doch etwas mitgekriegt haben.«
»Wissen Sie überhaupt, was es in unserer Kultur bedeutet, seine Familie zu verraten?«, schleuderte ihr die junge Frau entgegen.
»Erzähl es mir«, forderte Gret sie auf.
Janani verdrehte nur die Augen.
»Ich werde es keinem weitersagen«, versprach Gret. »Wir könnten von weiß Gott wem von diesem geplanten oder durchgeführten Freikauf erfahren haben. Sicher wissen verschiedene Leute von der Geschichte, oder etwa nicht?«
Janani nickte: »Sogar die Tigers haben nach einem Prozentsatz des Geldes geschrien.«
»Vertreter der LTTE?«
Gret fragte sich, wohin dieses Gespräch noch führen würde. Und ob sich die junge Janani mit ihren Aussagen nicht in ernsthafte Schwierigkeiten brachte.
Diese sagte verächtlich: »Eine Erpresserbande, sonst nichts.«
»Hatte die Schlägerei vor dem Riff Raff kürzlich etwas mit diesem Freikauf zu tun?«
»Es ging um die Höhe des Geldes«, bestätigte Janani auch das. »Mein Vater wollte mehr. Einer meiner Onkel bat ihn, Vernunft anzunehmen. Aufgeklärtere Landsleute verdammten die ganze Idee der arrangierten Heiraten, worauf sie von Fundis wie meinem Vater des Verrats an ihrem Volk bezichtigt wurden. Die Sympathisanten der Tigers redeten wie immer nur nach deren Mund. Und Lathan selbst wusste längst nicht mehr, was er wollte. Ein Wort gab das andere, über Jahre angehäufte Animositäten brachen durch. Das Ganze artete völlig aus: Freunde unserer Familie gegen den fanatischen Wellayake-Clan, Bergland-Tamilen gegen Leute aus Jaffna, Modernisten gegen Hindu-Fanatiker und so weiter. Aber der Funke, der alles zur Explosion brachte, war dieser Rexon mit seinen Dollars, die angeblich im Hotelsafe auf meinen Vater warteten.«
»Heilige Scheiße«, entfuhr es Gret. Sie wollte immer noch nicht glauben, was sie da hörte.
»Ich liebe meinen Bruder, aber Lathan ist ein Feigling«, äußerte sich Janani hart. »Zu blöd, um hier ein Mädchen zu finden und unserem allmächtigen Vater mal zu widersprechen und Nein zu sagen.«
»Ich stelle mir das auch sehr schwierig vor.«
»Das ist es«, räumte Janani ein. »Aber es muss eines Tages einfach sein, wenn man selbstständig werden will. Lathan hat niemals auch nur ansatzweise aufgemuckt. Na ja, er kam halt erst hierher, als er fast schon erwachsen war.«
»Du offensichtlich nicht«, sagte Gret.
»Ich lebe hier, seit ich acht bin. Ich bin Tamilin und stolz darauf. Aber gleichzeitig fühle ich mich hier zu Hause. Ich ging in Zürich zur Schule, habe viele Schweizer Freundinnen und mache im Sommer die Matura, wenn alles klappt. Ich habe keine Lust, mir vorschreiben zu lassen, was ich zu tun und zu lassen, oder gar, wen ich zu heiraten habe. Auch nicht von meinem Vater.«
»Hey, du hast wirklich Mut, Janani! Das meine ich ernst. Wenn ich dir irgendwie mal behilflich sein kann, lass es mich wissen.«
»Wie geht’s Lathan denn?«, wollte die junge Frau wissen.
»Seine Chancen stehen gut«, antwortete Gret. »Die Ärzte halten ihn nur noch künstlich im Koma, um den Heilungsverlauf positiv zu beeinflussen. Lathans Hirnströme sind aber soweit normal. Ich denke, er kommt wieder auf die Beine.«
»Und ins Gefängnis, oder?«
»Nur wenn er Rexon erstochen hat«, meinte Gret.
»Das hat er nicht!«, rief Janani bestimmt. »Auf keinen Fall, glauben Sie mir!«
»Wer dann?«
Janani strich sich ihre langen Haare hinter das Ohr. »Keine Ahnung. Aber niemand aus unserer Familie, da bin ich mir sicher. Was hätte es uns gebracht?«
»Vielleicht war Lathan eifersüchtig?«
»Er kannte seine Braut doch gar nicht richtig!«
»In seiner Ehre verletzt?«
»Er ist ein ganz schüchterner, bescheidener Mensch. Und er steht leider voll und ganz im mächtigen Schatten unseres Vaters.«
»Kann der es gewesen sein?«
Janani schüttelte den Kopf: »Er ist zwar ein übler Patriarch. Aber einen Mord würde er niemals begehen, nein, das widerspräche seinen Überzeugungen fundamental. Er hat uns auch niemals geschlagen
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