Staub
nicht im Sendebereich oder sie hat das Mobiltelefon abgeschaltet. Heute Morgen ist sie mit dem Hubschrauber nach Charleston geflogen«, sagt er.
Scarpetta wirft Marino einen Blick zu. Offenbar hat er Lucy angerufen, nachdem Scarpetta gestern gegangen war.
»Und das ist ein verdammtes Glück«, fährt Rudy fort.
»Rudy, was ist los?«, fragt Scarpetta, der es von Sekunde zu Sekunde mulmiger wird.
»Jemand hat ihr eine Bombe in den Briefkasten gelegt«, antwortet er rasch. »Ich kann jetzt nicht ins Detail gehen. Außerdem soll sie es dir selbst erzählen.«
Im Schneckentempo steuert Scarpetta auf die Besucherparkplätze zu. »Wann war das, und was genau ist passiert?«, erkundigt sie sich.
»Ich habe das Ding gerade gefunden. Vor einer knappen Stunde. Ich wollte nach dem Rechten sehen und habe bemerkt, dass der Signalwimpel am Briefkasten hochgeklappt war. Das kam mir komisch vor. Also habe ich den Briefkasten aufgemacht, und drinnen war ein großer Plastikbecher. Er war mit Markierstift orangefarben angemalt, der Deckel war grün. Rings um den Deckel und über der kleinen Tülle, aus der man trinkt, war Isolierband angebracht, sodass ich nicht sehen konnte, was drin war. Also habe ich mir eine von den langen Stangen aus der Garage geholt. Ich weiß nicht, wie man die Dinger nennt. Sie hat oben einen Greifer, damit man hoch hängende Glühbirnen wechseln kann. Ich habe das verdammte Ding damit rausgefischt, hinters Haus getragen und unschädlich gemacht.«
Sie lässt sich Zeit beim Parken und hört zu. »Wie denn? Ich frage dich ja nur ungern.«
»Ich habe darauf geschossen. Keine Angst. Mit Schlangenschrot. Es war eine Chemiebombe, eine Flaschenbombe, du kennst die Dinger ja. Mit kleinen Alukügelchen darin.«
»Metall, um die Reaktion zu beschleunigen.« Scarpetta kennt die verschiedenen Bombentypen. »Das ist häufig bei Bomben, die aus salzsäurehaltigen Putzmitteln wie zum Beispiel Toilettenreiniger aus dem Supermarkt oder aus dem Baumarkt bestehen. Leider kann sich jeder die Bauanleitungen aus dem Internet herunterladen.«
»Sie hat wirklich nach Säure gerochen, so wie Chlor. Aber da ich neben dem Pool darauf geschossen habe, kam der Geruch vielleicht von dort.«
»Möglicherweise Chlorgranulat für Swimmingpools in Verbindung mit einer zuckerhaltigen Limonade. Das ist auch sehr beliebt. Nach einer chemischen Analyse wissen wir mehr.«
»Keine Sorge, das wird erledigt.«
»Ist von dem Becher noch etwas übrig?«
»Wir werden ihn auf Fingerabdrücke untersuchen und alles, was wir finden, mit IAFIS abgleichen.«
»Theoretisch kann man aus Fingerabdrücken auch DNS-Spuren sicherstellen, wenn sie noch frisch sind. Es ist einen Versuch wert.«
»Wir überprüfen den Becher und das Isolierband. Keine Sorge.«
Je öfter er wiederholt, dass sie sich keine Sorgen machen soll, desto mehr macht sie sich welche.
»Ich habe nicht die Polizei verständigt«, fügt er dann hinzu.
»Es steht mir nicht zu, dir Ratschläge zu erteilen.« Sie hat es aufgegeben, ihm oder den Menschen in seinem Umfeld sagen zu wollen, was sie tun sollen. Lucy und ihre Mitarbeiter leben nach anderen Regeln, die kreativ und riskant sind und in vielen Fällen die Grenzen der Legalität überschreiten. Deshalb will Scarpetta keine Einzelheiten mehr hören, die ihr nachts nur den Schlaf rauben würden.
»Vielleicht steckt etwas anderes dahinter«, meint Rudy. »Doch das soll Lucy dir selbst erzählen. Falls du sie sprichst, bevor ich sie erreiche, richte ihr aus, dass sie mich so schnell wie möglich anrufen soll.«
»Rudy, du tust ohnehin, was du willst. Aber ich hoffe trotzdem, dass nicht noch weitere dieser Bomben dort herumliegen und dass der Täter sich nicht mehr als ein Opfer ausgeguckt hat«, sagt sie. »Ich hatte mit Menschen zu tun, die gestorben sind, weil derartige Chemikalien vor ihrer Nase explodierten, ihnen ins Gesicht geschüttet wurden oder in die Luftröhre und Lunge geraten sind. Diese Säuren sind so stark, dass die Reaktion nicht einmal vollständig abgeschlossen sein muss, damit es zur Explosion kommt.«
»Ich weiß, ich weiß.«
»Bitte vergewissere dich, dass es keine weiteren Opfer oder potenziellen Opfer gibt. Das beschäftigt mich immer am meisten, wenn du die Dinge selbst in die Hand nimmst.« Damit will sie ausdrücken, dass er wenigstens so verantwortungsvoll sein soll, für die Sicherheit seiner Mitmenschen zu sorgen, wenn er schon die Polizei nicht verständigen will.
»Ich weiß, was ich tun
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