Staub
dem Kopf auf einen riesigen ungepflegten Buchsbaum, unter dem, kaum sichtbar, ein schlammiger Blumentopf steht. »Der Schlüssel ist da drunter.«
Sie tritt von der Veranda, steckt die Hände zwischen die Zweige und stellt fest, dass der Blumentopf mit grünem, nach Morast stinkendem Regenwasser gefüllt ist. Als sie ihn beiseite rückt, entdeckt sie ein flaches, quadratisches, mit Schmutz und Spinnweben bedecktes Päckchen aus Alufolie. In der Alufolie befindet sich ein Kupferschlüssel, der angelaufen ist wie ein alter Penny. Diesen Schlüssel hat seit langer Zeit niemand mehr angefasst, mindestens seit ein paar Monaten, wenn nicht sogar länger, sagt sie sich. Sie kehrt zur Veranda zurück und reicht den Schlüssel Marino, weil sie nicht diejenige sein will, die das Haus aufschließt.
Die Tür öffnet sich quietschend, und ein muffiger Gestank schlägt ihnen entgegen. Drinnen ist es kalt, und Scarpetta glaubt, alten Zigarrenrauch zu riechen. Marino tastet nach dem Lichtschalter, doch als er ihn findet und betätigt, geschieht nichts.
»Hier.« Scarpetta gibt ihm ein Paar Baumwollhandschuhe. »Ich habe zufällig welche in deiner Größe dabei.«
»Hmm.« Er zwängt seine riesigen Hände hinein, während sie auch welche anzieht.
Auf einem Tisch an der Wand steht eine Lampe, die Scarpetta anknipst. »Wenigstens haben wir Strom«, meint sie. »Ich frage mich, ob das Telefon auch angeschlossen ist.« Sie hebt den Hörer eines alten schwarzen Wählscheibentelefons ab, hält ihn ans Ohr und hört nichts. »Es funktioniert nicht«, stellt sie fest. »Riechst du auch den abgestandenen Zigarrenrauch?«
»Tja, den Strom kann man nicht abschalten, sonst frieren die Wasserleitungen ein«, sagt Marino, schnuppert und blickt sich im Wohnzimmer um, das durch seine Anwesenheit winzig wirkt. »Ich rieche keine Zigarren, nur Staub und Moder. Aber du hattest schon immer eine bessere Nase als ich.«
Scarpetta steht im Lichtkegel der Lampe und blickt durch das kleine, dämmrige Zimmer zu der geblümten Couch unter den Fenstern und dem blauen Queen-Anne-Sessel, der in einer Ecke steht. Auf dem Couchtisch aus dunklem Holz liegen einige Zeitschriftenstapel. Sie geht hinüber, um sich die Magazine anzusehen. »Das hätte ich jetzt nicht erwartet!«, ruft sie und betrachtet eine Ausgabe von Variety .
»Was?« Marino kommt näher und starrt auf die Wochenzeitschrift in Schwarz-Weiß.
»Eine Fachzeitschrift für die Unterhaltungsindustrie«, sagt Scarpetta. »Seltsam. Vom November letzten Jahres«, liest sie das Erscheinungsdatum ab. »Wirklich eigenartig. Ich frage mich, ob Mrs. Towles, wer immer sie auch sein mag, Verbindungen zur Filmbranche hat.«
»Vielleicht ist sie ja auch nur promiverrückt wie die Hälfte der Menschheit.« Marino misst dem keine große Bedeutung bei.
»Aber diese Hälfte der Menschheit liest People, Entertainment Weekly oder ähnliche Blätter. Nicht Variety «, erwidert sie und greift nach weiteren Zeitschriften. » Hollywood Reporter, Variety, Variety, Hollywood Reporter , Ausgaben aus den letzten zwei Jahren. Die letzten sechs Monate fehlen. Vielleicht sind die Abonnements ausgelaufen. Der Adressaufkleber lautet auf Mrs. Edith Arnette, diese Adresse. Sagt dir dieser Name etwas?«
»Nein.«
»Hat der Immobilienmakler erwähnt, wer früher hier gewohnt hat? War es Mrs. Towle selbst?«
»Hat er nicht. Ich hatte nur den Eindruck, dass es Mrs. Towle war.«
»Wir sollten uns nicht auf unsere Eindrücke verlassen. Was hältst du davon, ihn anzurufen?« Sie öffnet ihre schwarze Tatorttasche, holt einen dicken Müllsack heraus, schüttelt ihn lautstark und packt die Ausgaben von Variety und Hollywood Reporter hinein.
»Nimmst du die etwa mit?« Marino steht in der Tür und hat ihr den Rücken zugekehrt. »Warum?«
»Kann nicht schaden, sie auf Fingerabdrücke zu untersuchen.«
»Diebstahl«, erwidert er, entfaltet einen Zettel und liest die Nummer ab.
»Hausfriedensbruch, Einbruch. Warum dann nicht auch Diebstahl?«, entgegnet sie.
»Falls sich die Sachen als wichtige Beweismittel entpuppen, können wir keinen Durchsuchungsbefehl vorweisen.« Offenbar will er sie ärgern.
»Soll ich sie zurücklegen?«, fragt sie.
Marino, immer noch in der Tür, zuckt die Achseln. »Wenn wir was finden, weiß ich ja, wo der Schlüssel ist. Ich schmuggle sie wieder ins Haus, und dann besorgen wir uns den Durchsuchungsbefehl eben nachträglich. Das hab ich auch schon früher so gemacht.«
»Das würde ich aber nicht
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