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Staub

Staub

Titel: Staub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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Begegnung offenbar eine Hautkrankheit bekommen hat. Fünf Jahre sind vergangen, denkt sie, und sie kann kaum fassen, was aus ihrem eitlen, Bodybuilding treibenden ehemaligen Kollegen geworden ist. Fielding war nie sehr begabt in Verwaltungsdingen und auch nicht unbedingt für hochfliegende medizinische Theorien bekannt, doch er hat sich in den zehn Jahren, die er für sie gearbeitet hat, stets loyal, respektvoll und aufmerksam gezeigt. Nie hat er versucht, ihre Autorität zu untergraben oder ihren Platz einzunehmen. Allerdings ist er auch nicht für sie in die Bresche gesprungen, als Mächte, die skrupelloser waren als er, erfolgreich beschlossen haben, sie loszuwerden.
    Fielding hat den Großteil seiner Haarpracht verloren, und sein früher attraktives Gesicht ist heute fleckig und verquollen. Seine Augen tränen. Er schnieft ständig. Drogen würde er niemals anrühren, da ist sich Scarpetta ganz sicher, aber er sieht aus wie ein Trinker. Sie bezweifelt, dass er eine Erkältung, die Grippe oder eine sonstige ansteckende Krankheit hat. Vielleicht ist es ja ein Kater. Womöglich leidet er an einer Histamin-Reaktion auf irgendetwas. Scarpetta entdeckt einen rot entzündeten Ausschlag oben im V-Ausschnitt seines OP-Anzugs, und ihr Blick gleitet die weißen Ärmel seines offenen Labormantels und die Konturen seiner Arme entlang bis zu den wunden, schuppigen Händen. Fielding hat beträchtlich an Muskelmasse verloren. Er ist beinahe abgemagert und scheint an einer oder mehreren Allergien zu leiden. Unselbständige Menschen neigen dazu, Allergien, Krankheiten und Probleme mit der Haut zu entwickeln, und Fielding geht es gesundheitlich offensichtlich ganz und gar nicht gut. Aber vielleicht soll das ja auch so sein, denn wenn es ihm ohne sie gut ginge, würde das bedeuten, dass der Bundesstaat Virginia und die Menschheit im Allgemeinen aufatmen konnten, als man sie vor einem halben Jahrzehnt aus dem Amt gejagt hat. Doch im nächsten Moment zieht sich das kleine, gemeine Ungeheuer in Scarpetta, das sich an Fieldings Leiden ergötzt, schon wieder in sein dunkles Loch zurück, und sie wird von Bestürzung und Sorge ergriffen. Wieder sieht sie ihn an, aber er weigert sich, Blickkontakt zu ihr aufzunehmen.
    »Hoffentlich haben wir vor meiner Abreise Gelegenheit, ein wenig zu plaudern«, sagt sie von ihrem grün gepolsterten Stuhl am Fußende des Tisches aus, als wäre sonst niemand im Raum, nur Fielding und sie. Ganz wie früher, als sie hier Chefin gewesen ist und ein solches Ansehen genoss, dass sie ab und zu von naiven Medizinstudenten und frisch gebackenen Polizisten um ein Autogramm gebeten wurde.
    Wieder spürt sie, wie Dr. Marcus sie beobachtet, und zwar so deutlich, als wären seine Blicke Nadeln, die sich in ihre Haut bohren. Er trägt weder Labormantel noch einen Arztkittel, was sie nicht überrascht. Wie die meisten gleichgültigen Chefpathologen, die schon vor Jahren ihren Beruf an den Nagel hätten hängen sollen, da sie ihn vermutlich ohnehin nie geliebt haben, gehört er offensichtlich zu den Leuten, die niemals eine Autopsie selbst durchführen würden, solange sich ein anderer dafür findet.
    »Fangen wir an«, verkündet er. »Ich fürchte, wir haben heute Morgen ein volles Haus. Außerdem haben wir Gäste – Dr. Scarpetta und Captain Marino … Oder war es Lieutenant? Arbeiten Sie jetzt in Los Angeles?«
    »Kommt ganz drauf an«, erwidert Marino. Seine Augen werden vom Schirm der Baseballkappe verdeckt, und er fingert an seiner nicht angezündeten Zigarette herum.
    »Tut mir Leid, aber soweit ich mich erinnere, hat Dr. Scarpetta nicht erwähnt, dass sie Sie mitbringen wollte.« Auch Scarpetta bekommt ihren öffentlichen Dämpfer.
    Anscheinend hat er vor, seine Seitenhiebe ab jetzt in Gegenwart von Publikum auszuteilen. Er wird sie dafür büßen lassen, dass sie ihn in seiner schlampigen Bibliothek zur Rede gestellt hat. Dann denkt sie an Marinos Telefonate. Vielleicht hat einer seiner Gesprächspartner Dr. Marcus ja gewarnt.
    »Oh, aber natürlich.« Plötzlich fällt es ihm wieder ein. »Sie hat gesagt, dass Sie beide zusammenarbeiten, richtig?«
    »Ja«, bestätigt Scarpetta vom Fuß des Tisches aus.
    »Also, wir sprechen nur rasch die Fälle durch«, teilt er ihr mit. »Wenn Sie und … äh … Mr. Marino, wenn Sie beide also einen Kaffee trinken wollen. Oder eine Zigarette rauchen, solange das draußen geschieht. Sie sind bei unserer Mitarbeiterbesprechung gern willkommen, aber Sie müssen nicht

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