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Staub

Staub

Titel: Staub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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bleiben.«
    Scarpetta erkennt die Warnung, die in seinem Tonfall mitschwingt. Wenn sie sich weiter aufdrängt, wird sie sich eine Art von Aufmerksamkeit gefallen lassen müssen, die bestimmt nicht angenehm sein wird. Dr. Marcus ist Politiker, allerdings kein guter. Offenbar haben die Mächtigen ihn bei seiner Ernennung als willfähig und harmlos eingestuft, also als das genaue Gegenteil von ihr. Allerdings kann es durchaus sein, dass sie sich geirrt haben.
    Er wendet sich zu der Frau, die gleich rechts neben ihm sitzt. Sie ist groß und grobknochig, hat ein Pferdegesicht und kurz geschorenes graues Haar. Offenbar ist sie für die Verwaltungsarbeit zuständig, und er fordert sie mit einem Nicken auf anzufangen.
    »Okay«, beginnt sie, und alle betrachten die gelben Fotokopien der heutigen Abweisungen, Leichenschauen und Autopsien. »Dr. Ramie, Sie hatten letzte Nacht Bereitschaft?«, fragt sie.
    »Allerdings. In der besten Jahreszeit«, erwidert die Angesprochene.
    Niemand lacht. Eine düstere Stimmung hängt wie ein Leichentuch über dem Konferenzraum. Und sie hat nichts mit den Patienten am Ende des Flurs zu tun, die auf die letzte und invasivste Untersuchung warten, die je ein irdischer Arzt an ihnen vornehmen wird.
    »Als Erstes haben wir Sissy Shirley, eine zweiundneunzigjährige Schwarze aus Hanover County, herzkrank, tot im Bett aufgefunden«, sagt Dr. Ramie mit einem Blick in ihre Notizen. »Sie lebte in einer Einrichtung für betreutes Wohnen und war ein bemerkenswerter Anblick. Ich habe die Leichenschau bereits durchgeführt. Dann hätten wir noch Benjamin Franklin – der heißt wirklich so. Neunundachtzigjähriger Schwarzer, ebenfalls tot im Bett aufgefunden, herzkrank und Nervenversagen …«
    »Was?«, unterbricht Dr. Marcus. »Was zum Teufel ist Nervenversagen?«
    Einige Anwesende lachen, und Dr. Ramies Gesicht wird rot. Sie ist eine übergewichtige, unscheinbare junge Frau, deren Gesicht nun leuchtet wie ein voll aufgedrehter Halogenstrahler.
    »Ich glaube nicht, dass Nervenversagen eine anerkannte Todesursache ist«, weidet sich Dr. Marcus an der Scham seiner Mitarbeiterin. Er ist wie ein Schauspieler, der sich vor einem gebannten Publikum produziert. »Bitte sagen Sie jetzt nicht, wir hätten einen armen Teufel in unsere Klinik gebracht, weil er angeblich an Nervenversagen gestorben ist.«
    Seine Scherze sind nicht freundlich gemeint. Kliniken sind für die Lebenden. Mit wenigen Worten hat er es geschafft, die Wirklichkeit der Menschen am Ende des Flurs zu leugnen und sich darüber lustig zu machen. Menschen, die kläglich, kalt und steif in Leichensäcken aus Vinyl, Kunstpelz-Beuteln aus dem Bestattungsinstitut oder nackt auf harten Bahren sowie Stahltischen liegen und dort auf das Skalpell und die Stryker-Säge warten.
    »Tut mir Leid«, sagt Dr. Ramie mit glühend roten Wangen. »Ich habe mich verlesen. Hier steht Nierenversagen. Manchmal kann ich meine eigene Handschrift nicht mehr entziffern.«
    Dr. Marcus’ Blick ist kalt und undurchdringlich.
    Monoton fährt Dr. Ramie fort: »An Mr. Franklin musste ebenfalls eine Leichenschau durchgeführt werden. Das habe ich bereits erledigt. Dann hätten wir da noch Finky … äh … Finder …«
    »Finky Finder? Ist das der richtige Name?« Dr. Marcus’ Stimme unterbricht sie in schneidendem Ton.
    Bei Dr. Ramies Anblick befürchtet Scarpetta, die arme Frau könnte in Tränen ausbrechen und aus dem Raum laufen. »Ich habe den Namen vorgelesen, der mir genannt wurde«, entgegnet sie förmlich. »Zweiundzwanzigjährige Schwarze, tot auf der Toilette, Nadel noch im Arm. Vermutlich eine Überdosis Heroin. Das ist der zweite Fall in vier Tagen in Spotsylvania. Und das hier habe ich eben erhalten.« Umständlich zieht sie eine Telefonnotiz hervor. »Unmittelbar vor der Mitarbeitersitzung haben wir einen Anruf wegen eines zweiundvierzigjährigen Weißen namens Theodore Whitby bekommen. Verletzt beim Arbeiten mit einem Traktor.«
    Dr. Marcus’ Augen blinzeln hinter der kleinen Metallbrille. Die Mienen der Anwesenden sind ausdruckslos. Lass es, sagt Scarpetta lautlos zu Marino. Aber er tut es trotzdem.
    »Verletzt?«, fragt er. »Lebt er denn noch?«
    »Den Anruf«, stammelt Dr. Ramie, »habe ich nicht selbst entgegengenommen. Nicht persönlich. Dr. Fielding …«
    »Nein, ich auch nicht«, fällt Fielding ihr ins Wort wie ein zuschnappendes Pistolenschloss.
    »Sie auch nicht? Oh, dann war es Dr. Martin. Die Notiz ist von ihm«, fährt Dr. Ramie fort, den

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