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Staub

Staub

Titel: Staub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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hochroten Kopf verlegen über die Telefonnotiz gebeugt. »Niemand scheint genau zu wissen, was passiert ist, aber er saß angeblich auf dem Traktor oder stand daneben. Und im nächsten Moment sahen seine Kollegen ihn schwer verletzt auf dem Boden liegen. Gegen halb neun heute Morgen, also vor einer knappen Stunde. Offenbar hat er sich selbst überfahren, ist runtergefallen oder so, und der Traktor ist über ihn hinweggerollt. Als der Rettungswagen eintraf, war er schon tot.«
    »Oh. Er hat sich also umgebracht. Ein Selbstmord«, schlussfolgert Marino und dreht langsam seine Zigarette zwischen den Fingern.
    »Eine Ironie des Schicksal, dass es bei dem alten Gebäude an der Nine North Fourteenth Street passiert ist, das gerade abgerissen wird«, fügt Dr. Ramie hinzu.
    Scarpetta erinnert sich an den Mann in olivgrüner Hose und dunkler Jacke, der am Heck des Traktors unweit des Rolltors stand. Zu diesem Zeitpunkt lebte er noch. Er sollte sich nicht so dicht am Reifen aufhalten, während er sich am Motor zu schaffen macht, hat sie vorhin noch gedacht. Und jetzt ist er tot.
    »Er ist ein Fall für eine Leichenöffnung«, sagt Dr. Ramie, die ihre Fassung und ihre Autorität wenigstens teilweise wiedergewonnen hat.
    Scarpetta erinnert sich daran, wie sie in ihrem Leihwagen um die Ecke gebogen und um das alte Gebäude herumgefahren ist und wie der Mann und sein Traktor danach aus ihrem Blickfeld verschwanden. Offenbar hat er den Traktor wenig später wieder zum Laufen gebracht und ist dann gestorben.
    »Dr. Fielding, ich schlage vor, Sie übernehmen den Traktortod«, meint Dr. Marcus. »Vergewissern Sie sich, dass er keinen Herzinfarkt oder einen anderen Anfall hatte, bevor er überfahren wurde. Die Auflistung seiner Verletzungen wird umfangreich sein und viel Zeit in Anspruch nehmen. Ich brauche Sie nicht daran zu erinnern, wie gründlich wir in solchen Fällen vorgehen müssen. Ein makaberer Tod.« Er sieht Scarpetta an. »Es war ein bisschen vor meiner Zeit, aber Sie haben doch früher in dem Gebäude in der Nine North Fourteenth Street gearbeitet.«
    »Richtig«, erwidert sie. Der Geist der Vergangenheit. Sie hat das Bild von Mr. Whitby in Schwarz und Olivgrün vor Augen, den sie aus der Ferne gesehen hat und der jetzt auch ein Geist ist. »In diesem Gebäude habe ich angefangen. Ein bisschen vor Ihrer Zeit«, sagt sie. »Dann bin ich hierher umgezogen.« Sie will ihm klar machen, dass sie auch in diesem Gebäude tätig war. Im nächsten Moment fühlt sie sich deshalb ein wenig albern, weil diese Tatsache schließlich allgemein bekannt ist.
    Dr. Ramie trägt weiter ihre Fälle vor: ein Tod im Gefängnis ohne verdächtige Begleitumstände, doch dem Gesetz nach muss jeder, der im Gefängnis stirbt, in die Gerichtsmedizin. Ein Mann wurde tot auf einem Parkplatz gefunden, vermutlich erfroren. Eine Frau, die an Diabetes litt, ist beim Aussteigen aus dem Auto aus heiterem Himmel tot umgefallen. Ein plötzlicher Kindstod. Und ein Neunzehnjähriger, der tot mitten auf der Straße lag, möglicherweise aus einem fahrenden Auto erschossen.
    »Ich habe einen Gerichtstermin in Chesterfield«, beendet Dr. Ramie ihre Ausführungen. »Jemand muss mich hinfahren. Mein Auto ist schon wieder in der Werkstatt.«
    »Ich bringe Sie hin«, erbietet Marino an und zwinkert ihr zu.
    Sie macht ein entsetztes Gesicht.
    Alle wollen aufstehen, aber Dr. Marcus hält sie zurück. »Bevor Sie gehen«, sagt er, »möchte ich Sie um Ihre Hilfe bitten. Wahrscheinlich können Sie auch ein bisschen Hirngymnastik gebrauchen. Wie Sie wissen, veranstaltet das Institut einen weiteren Lehrgang zum Thema Ermittlung von Todesursachen, und wie immer hat man mich gebeten, einen Vortrag über die Gerichtsmedizin zu halten. Ich habe mir gedacht, ich probiere in dieser Runde einmal ein paar Testfälle aus, da wir heute schließlich eine Expertin in unserer Mitte haben.«
    Dreckskerl, denkt Scarpetta. So wird ihre Zusammenarbeit also aussehen. Das Gespräch in der Bibliothek hat überhaupt nichts geändert.
    Er hält inne und lässt seinen Blick über den Tisch schweifen. »Eine zwanzigjährige Weiße«, beginnt er, »ist in der siebten Woche schwanger. Ihr Freund tritt sie in den Bauch. Sie ruft die Polizei und wird ins Krankenhaus eingeliefert. Einige Stunden später stößt sie den Fötus und die Placenta ab. Die Polizei verständigt mich. Was tue ich?«
    Niemand antwortet. Offensichtlich sind Dr. Marcus’ Mitarbeiter keine Denksportaufgaben gewohnt, denn sie

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