Staustufe (German Edition)
auf einem unbeleuchteten, baumgesäumten Parkplatz stand. Das Parkareal gehörte schon zu den Griesheimer Chemiewerken. Nach Osten grenzte es an die Reihenhauszeile. Vom Parkplatz aus sah Winter die maskierten Gestalten des SEK ums Haus zur Mainseite huschen, während ein Beamter in Zivil sich gemessenen Schritts über den Hof auf die Haustür zubewegte und die Klingel drückte. Niemand öffnete.
Kurze Zeit später gingen im Haus nach und nach die Lichter an. Dann geschah lange nichts. Winter hielt die Ruhe für ein gutes Zeichen, bis er einen Anruf bekam.
«Wir haben ihn», berichtete der Leiter des Kommandos. Er sprach so leise, dass sein heftig gehender Atem lauter schien als seine Worte. «Aber es ist was schiefgelaufen. Der Raum, wo wir rein sind, war zum Flur hin verschlossen. Wir mussten die Tür aufbrechen. Die Zielperson hat was gehört, ist ganz nach oben in den ersten Stock und hat den Sohn als Geisel genommen. Hält dem jetzt die Pistole an den Kopf. Unser Verhandlungsspezialist tut sein Möglichstes. Aber irgendwie habe ich das Gefühl, der Mann ist nicht zugänglich. Der drückt jede Sekunde ab, so kommt mir das vor. Können Sie mir noch ein paar Details zum Hintergrund sagen?»
«Kann ich vielleicht selbst mit dem Mann sprechen?», fragte Winter. «Auf dem Handy. Freisprechfunktion.»
«Okay, mal sehen. Ah, nein, ich höre gerade, er gibt wohl auf. Seine Bedingung ist, er will nur noch einmal fünf Minuten mit seinem Sohn alleine sein und sich ihm erklären.»
«Erlauben Sie das nicht», sagte Winter erschrocken. «Auf keinen Fall.» Kurz entschlossen stieg er aus dem Wagen und bewegte sich mit schnellen Schritten von dem Parkplatz auf das Haus zu.
«Warum sollen wir nicht darauf eingehen?»
«Ich glaube, Stolze plant einen erweiterten Suizid. Er will erst seinen Sohn erschießen und dann sich selbst. Lassen Sie mich mit ihm reden. Direkt. Ich komme jetzt. Sie sind im Obergeschoss, richtig?»
«Herr Winter, überlassen Sie das uns.»
Sebastian wimmerte. Aber sie taten es trotzdem. Machten die Tür zu, ließen ihn mit seinem verrückten Vater alleine.
«Ich liebe dich, mein Junge», sagte der, während Sebastian zugleich spürte, wie der Lauf der Pistole sich fester auf seine Kopfhaut drückte. Sebastian wollte schreien, doch seine Zunge schien gelähmt. Dann ein leises Geräusch von klickendem Plastik.
Als Winter sich oben durch den Flur voller Männer zwängte, in dem überflüssigerweise ein leeres Regal herumstand, da war schon alles vorbei. Stolze lag bäuchlings auf dem Boden des Jugendzimmers, die Hände gefesselt. Er schluchzte, murmelte vor sich hin, er habe nur das Beste gewollt, habe seiner Familie Schande und Armut ersparen wollen.
«Sie hatten recht», sagte der Einsatzleiter, ein Mann von fünfunddreißig, der die Maske hochgezogen hatte. Sein bartloses Gesicht war rot und glänzte vor Schweiß. «Der einzige Grund, warum der Junge noch lebt, ist das hier.» Er deutete auf die Hände eines am Boden hockenden, noch maskierten Spezialisten, der dabei war, die Glock auseinanderzunehmen.
«Ladehemmung», sagte der Spezialist. «Kommt öfter mal vor, aber das Ding ist auch seit Jahren nicht gereinigt worden. Außerdem hat er sie falsch gehalten. Einhändig.»
«Woher haben Sie die Waffe? Ist die legal?», wollte ein anderer maskierter SEKler von Stolze wissen.
«Heute gekauft», presste Stolze aus seiner Bauchlage hervor. «Aus einer Haushaltsauflösung.»
«Haushaltsauflösung?»
«Das war so inseriert. Militaria aus Haushaltsauflösung.»
«Haben Sie noch mehr Waffen hier?»
«Stopp», sagte Winter. «Ist Herr Stolze schon belehrt worden?»
Natürlich war das noch nicht geschehen. Winter sorgte dafür, dass Stolze in das danebenliegende Schlafzimmer gebracht wurde, dann belehrte er ihn über seine Rechte. Inzwischen kamen Leute der Schutzpolizei ins Haus. Der junge Patrick Heinrich war dabei und freute sich wie ein Schneekönig, Winter wiederzusehen.
Winter überließ Stolze den uniformierten Kollegen und kehrte zurück zu dem kleinen Jugendzimmer voller Beamter. Sebastian Stolze kauerte leichenblass und reglos in einer Ecke seines Bettes. Der Junge tat Winter unendlich leid. Er winkte dem Einsatzleiter herauszukommen. Draußen im Flur fragte er ihn leise: «Habt ihr die Frau Stolze gefunden?»
«Nein. Wir haben die Zielperson natürlich als Erstes gefragt, wo die Frau ist. Schon als wir verhandelt haben. Er sagt, sie ist im Urlaub. Hat hysterisch dabei
Weitere Kostenlose Bücher