Staustufe (German Edition)
Jungen zum Haus der Lehrerin zu fahren.
Während der Junge ein paar Sachen packte, sah Winter in die Küche, suchte nach Messern. In einer Schublade fiel ihm ein nagelneues, spitzes Keramikmesser auf. Die Breite der strahlend weißen Klinge passte perfekt zu den Schnitten, die er am Bauch des Mainmädchens gesehen hatte. Er nahm das Messer in die behandschuhte Hand und ließ es in einen Pergaminbeutel rutschen. Den durchschnitt es wie Wasser, rutschte durch, fiel auf den Fliesenboden und zerbrach. Winter fluchte, dann lachte er. Er war übermüdet und überreizt. Schnell rief er jemanden von der Spurensicherung. Es war wirklich besser, wenn die Experten ihre Arbeit selber machten.
Zum guten Schluss besprach Winter sich telefonisch mit Fock. Der war mehr als erstaunt über die Entwicklungen. Doch ganz Routinier, ließ er sich wenig anmerken. Sie vereinbarten, dass es für die Mordkommission, abgesehen von Winters jetzigem irregulärem Einsatz, keinen Sonntagsdienst geben würde. Es war nicht sinnvoll, jemanden zu vernehmen, bevor das Haus kriminaltechnisch ausgewertet war. Und der Garten. Natürlich, der Garten. Winter dachte an die dicke Sonja Manteufel. Unglaublich, dass diese Frau auf eigene Faust so dicht an die Wahrheit gekommen war. Aber von der skelettierten Leiche im Keller hatte auch sie nichts geahnt.
«Sie sind dann ab morgen wieder regulär bei der Kommission Mainmädchen», verkündete Fock außerdem. «Die Sache mit Ihrer Tochter ist ja nicht mehr relevant. Und diese unangenehme Kollegin vom KDD sind Sie glücklicherweise ja nun auch los. Ich hoffe, dass jetzt wieder Ordnung bei Ihnen im Team einkehren wird. Das ging ja reichlich drunter und drüber letzte Woche.»
Winter stöhnte innerlich. «Es war auch ein schwieriger Fall, Chef. Zu viele Verdächtige, ein falsches Geständnis, kaum Personal … Und dafür, dass es so schwer war, sind wir verdammt schnell vorangekommen.»
«Nun ja, wie man’s nimmt, es war doch eher ein Zufallserfolg.»
Winter verdrehte die Augen. Bis ihm endlich eine Replik einfiel, sprach Fock schon weiter: «Für die SoKo Krawatte haben Sie allerdings ganze Arbeit geleistet. Wahrscheinlich lag es hauptsächlich an dieser inkompetenten KDDlerin, dass in dem Mainmädchenfall so viel schieflief.»
«Na ja, die Kollegin ist eben ein bisschen unerfahren, aber –»
«Seien Sie unbesorgt. Wenn wir mal wieder Verstärkung brauchen, diese Türkin setze ich Ihnen nicht noch mal ins Nest. Wie hat sich denn der junge Heinrich von der Direktion Süd geführt?»
«Sehr gut, keine Klagen.»
«Na bestens. Bis morgen dann.»
Winter war müde, aber euphorisch gewesen. Doch nach dem Gespräch mit Fock fühlte er sich deprimiert.
Wahrscheinlich war er einfach überarbeitet. Er musste nach Hause.
Dort erlebte Winter nachmittags um drei die nächste Überraschung. Er schrieb gerade eine SMS an Aksoy, um ihr zu verraten, wie es letzte Nacht ausgegangen war. Da klingelte es. Winter ging selbst zum Drücker, sah durchs Türglas, dass der Besucher schon hier oben stand, und öffnete. Vor sich hatte er einen dunkelhaarigen, blassen jungen Mann, der einen Strauß orangegelber und rosa Edelrosen in der Hand hielt.
«Hallo, Herr Winter. Ich bin Selim. Ich hätte gerne mit Sara gesprochen. Ist sie da?»
Winter war eiskalt erwischt. «Einen Moment», bat er. «Ich muss nachsehen.»
Er klopfte an Saras Zimmertür, bis sie öffnete.
«Sara, dieser Selim ist hier», flüsterte er. «Willst du ihn sehen oder eher nicht? Mir wäre es lieber, wenn nicht.»
Das hätte er nicht sagen sollen. Denn natürlich setzte bei Sara daraufhin eine Trotzreaktion ein. «Ich will ihn aber sehen», erklärte sie, obwohl sie kurz zuvor noch sehr zweifelnd dreingeblickt hatte.
«Sicher?»
«Ja, sicher. Hörst du schlecht, oder was?»
Den Ton mochte Winter gar nicht.
«Hattet ihr euch gestritten?», fragte er, um Zeit zu gewinnen.
«Geht dich nichts an.»
«Um ehrlich zu sein, das geht mich doch was an.»
Sara hatte die Lippen aufeinandergepresst. Sagte keinen Ton.
An dem Tag, an dem die Polizistin ihr und der Clique die Fotos des Ertrunkenen Lenny gezeigt hatte, nachdem Sara also klar war, dass Lenny gestorben war, da war sie am Abend zu Selim gegangen. Sie wollte sich ausweinen. Sich mit ihm beraten. Vielleicht war sie auch etwas vorwurfsvoll. Selim war es doch gewesen, der «Mach dir keinen Kopf» gesagt hatte, nachdem Lenny gesprungen war.
Und die Reaktion von Selim? Er wisse nicht, warum er immer an
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