Staustufe (German Edition)
kicherte. Winter nahm Fock das Blatt ab. Die fuhren ja volles Geschütz auf. Alles Werbung für Naumanns neues Buch. Ein weiterer Artikel auf derselben Seite fragte sich, warum große Schriftsteller – von Truman Capote bis Bukowski – oft eine so große Affinität zu Verbrechen hätten. Ein anderer Artikel titelte: «Die großen Romane Naumanns über Marginalfiguren – Indizien einer Verwahrlosung?»
«Sie sehen, wir haben viel Presse», kommentierte Fock. «Wenn Sie das verbaseln, meine Herren» – sein Blick wanderte zu Aksoy, er kratzte sich am Kopf und schob die rote Fliege zurecht. Dann sah er auf die Uhr. «Ich verstehe nicht, wo Nötzel bleibt – eben hat er gesagt –»
Da erklang ein kurzes Klopfen an der Tür. Nötzel, der zuständige Staatsanwalt, trat ein.
«Morgen, Herrschaften», grüßte er energisch. Er legte seine Aktenmappe ab und schüttelte allen Anwesenden die Hand. In seinem rotblond-grauen Bürstenschnitt glänzten kleine Tropfen. Es hatte wieder zu regnen begonnen. Nötzel setzte sich mit geschäftigem Blick, schlug ein graubetuchtes Bein übers andere und kam zur Sache.
«Ich würde gern einen der beiden Verdächtigen freilassen. Zwei voneinander unabhängige Beschuldigte, das sieht nicht gut aus. Als würden wir leichtfertig Leute in Haft nehmen. Was denken Sie?» Dabei sah Nötzel Winter an. Er wusste sehr genau, wer die Ermittlungen in dem Fall führte. Der offizielle Leiter der Mordkommission 1, Fock, war es jedenfalls nicht.
«Ach, Herr Nötzel», seufzte Winter. «Sie kennen die Sachlage so gut wie ich. Ein Geständnis von Benedetti, Indizien und Aussageverweigerung im Fall des Beschuldigten Naumann.»
«War es nicht so, dass Sie bei Benedetti große Zweifel hatten, ob das Geständnis der Wahrheit entspricht?»
«Da Sie sicher das Protokoll gelesen haben, wissen Sie, warum. Frau Aksoy und ich denken allerdings … also, eine Hypothese ist, dass Benedetti sich zumindest der Vertuschung einer Straftat schuldig gemacht hat.»
«Wie das?» Nötzel ließ erstaunt und neugierig den Blick von Winter zu Aksoy schweifen. Die hatte verstanden und hakte ein.
«Benedetti war Freitagmittag mit dem Mädchen unterhalb der Staustufe verabredet. Wir haben uns die Stelle vorhin noch mal angesehen. Es gibt dort eine etwas einsame Ecke, die nicht gut einsehbar ist. Wir denken, dass Benedetti das Mädchen tot oder komatös am Treffpunkt vorgefunden haben könnte und dann auf die Idee kam, seine Frau habe die Tat begangen. Weil er Frau Serdaris schützen wollte, hätte er das Mädchen dann in ein Gebüsch gezerrt und bis zur Nacht liegen lassen. In der Nacht hätte er die Leiche dann zur Staustufe schleppen und sie von dort ins Wasser werfen können.»
«Ah! Ich verstehe. Interessant. Dann könnten sowohl Benedettis Frau als auch Naumann die Tat begangen haben. Wenn es nicht ein banaler Raubüberfall war. Verzwickte Sache. Ja, dann wird es aber Zeit, dass der Benedetti diesbezüglich noch mal verhört wird. Und die Griechin auch. Die müsste es doch mitbekommen haben, wenn der Benedetti in der Nacht noch einmal draußen war.»
«Die Vernehmungen haben wir für heute geplant», übernahm Winter wieder. «Der Erkennungsdienst ist dabei, in der Gegend um die Staustufe nach Spuren zu suchen und Erdproben auf Blut zu untersuchen. Und was den Schriftsteller betrifft: Den werden wir uns erst wieder vornehmen, sobald das Ergebnis des genetischen Fingerprintings da ist. Wenn Blut und Haare auf der Decke nicht vom Opfer stammen, haben wir schlechte Karten und müssen ihn laufenlassen. Oder was meinen Sie?»
Nötzel stimmte dem Plan zu. Dann fragte er: «Müsste das Ergebnis des genetischen Fingerprintings nicht heute früh gekommen sein?»
Fock brachte sich wieder ein, lachte höhnisch. «Wir haben gestern um die fünfzig Proben von männlichen Strichern genommen und vorgestern noch mal ähnlich viele Spurenproben aus dem Hotelzimmer, in dem der Kultusminister gefunden wurde. Das Labor ist überlastet. Und ich habe natürlich angeordnet, dass das Material für die SoKo Krawatte bevorzugt behandelt wird. Ich zumindest kann Prioritäten setzen. Der Tod eines Landesministers ist nun einmal etwas bedeutender als der eines Straßenmädchens. Sie » – er zeigte auf Aksoy – «werden übrigens ab jetzt voll der SoKo Krawatte zur Verfügung stehen. Und Sie, Winter, plane ich ab vierzehn Uhr ebenfalls ein. Davor machen Sie in Gottes Namen Ihre Vernehmungen. Ich verstehe nicht, warum Sie diese
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