Staustufe (German Edition)
wichtigen Fragen nicht längst geklärt haben. Ein richtiger Chaosverein ist das hier, seit Kollege Weber nicht mehr da ist.»
Kollege Weber war Winters Freund Gerd.
Aksoy beachtete Focks Tirade nicht. «Entschuldigung, Herr Fock …»
«Ja?» Fock blickte misstrauisch. Die Aksoy war ihm offenbar unheimlich.
«Die Befragung der Jugendlichen wegen der neuen Leiche würde gern ich übernehmen. Ich habe da den Kontakt geknüpft. Ich denke, bei mir werden die Kids am ehesten reden.»
«Für diesen Job halte ich die Kollegin Aksoy ebenfalls für geeigneter», fügte Winter schnell hinzu. «Sie ist vom Alter her einfach näher dran.» In Wahrheit ging es natürlich um etwas ganz anderes. Winter war Aksoy dankbar, dass sie das eigentliche Problem – die Beteiligung seiner Tochter Sara – für sich behielt.
«Na, bitte schön», grantelte Fock und streifte ein Stäubchen vom Revers. «Aber sehen Sie zu, dass Sie das irgendwie dazwischenschieben. Ich habe einen dicken Stapel Hinweise für Sie zum Aufnehmen und Abarbeiten. Was meinen Sie, wie viel wir reinbekommen bei der SoKo Krawatte? Nicht täglich, stündlich bekommen wir hundert Hinweise!»
Kein Wunder bei zwanzigtausend Euro Belohnung, dachte Winter. Er würde sich jetzt Nino Benedetti vornehmen.
Vorher rief er den Rechtsmediziner an. «Herr Butzke, wäre es möglich, dass das Mädchen sich die Gesichtsverletzung im Fallen von der Staustufe geholt hat? Als sie bereits tot war?»
Butzke blätterte lautstark in seinen Unterlagen. Dann verneinte er die Frage. «Da waren Leukos an den Wundrändern», fachsimpelte er. «Sie hat nach den Schlägen ins Gesicht noch ein Weilchen gelebt. Nein, das passt nicht.»
Aha. Winter war erleichtert. Damit wäre jedenfalls Aksoys wüste Hypothese vom assistierten rituellen Selbstmord vom Tisch. Die Frau lenkte einen ständig vom Wesentlichen ab mit ihren Phantasien.
Sonja Manteufel schleppte ihre hundertfünfzig Kilogramm Lebendgewicht hoch zum Dachgeschoss. Sie keuchte wie eine Dampfmaschine. So viele Treppen wie in den letzten Tagen war sie seit Jahren nicht gestiegen.
Mit einem dicken Stapel Papier in der Hand klingelte sie bei Lena Serdaris. Die öffnete und lächelte erleichtert, als sie Sonja Manteufel sah.
«Du siehst besser aus», sagte Manteufel zur Begrüßung und betrat die Wohnung.
«Ich habe heute Nacht geschlafen», erklärte Lena. «Ich hab eine Schlaftablette genommen. Eine Freundin hat mir welche vorbeigebracht. Anders wäre es nicht gegangen.»
Manteufel konstatierte, dass Lena Serdaris außer ihr noch andere Freunde und Helfer zur Verfügung hatte. Beinahe war sie eifersüchtig. Ob sie hier noch gern gesehen sein würde, wenn die Sache ausgestanden war? Sie schob den Gedanken schnell beiseite.
In dem aparten Wohnzimmer in zarten Blau- und Weißtönen sank sie aufs Sofa und legte den schweren Papierstapel auf dem Glas-Couchtisch ab. Lena Serdaris warf einen ängstlichen Blick auf den Packen Papier.
«Kann ich dir was anbieten?», fragte sie. «Tee, Kaffee? Saft?»
«Kaffee», entschied Manteufel. «Schwarz und ohne Zucker.» Eigentlich hatte sie mörderische Lust auf Cola. Aber von Cola musste sie rülpsen, und das wollte sie Lena Serdaris nicht zumuten. Außerdem hatte sie ohnehin beschlossen, ihre Colasucht einzudämmen. Sie wollte von sechs Litern am Tag auf drei runter.
Sie saß hier selten unbequem. Das grazile, hübsche hellblaue Sofa war kaum groß genug, ihre Leibesfülle aufzunehmen. Der Holzrahmen machte bei jeder ihrer Regungen verdächtige Geräusche. Ob das Möbel für hundertfünfzig Kilo zugelassen war?
Lena Serdaris kam wieder herein und stellte eine Tasse Kaffee gefährlich dicht neben die Papiere. «Ich bin ganz aufgeregt», sagte sie, als sie sich endlich setzte. «Bitte erzähl.»
«Gut. Das hier ist jetzt also ein Ausdruck der Akte. Und ich habe mit dem Hauptkommissar Winter geredet. Es gibt ein paar interessante Neuigkeiten. Der Winter kam gerade von Nino, wirkte total verärgert und hat mir deshalb mehr erzählt, als er musste. Der zweite Verdächtige, dieser Schriftsteller, hat die Aussage verweigert. Für uns heißt das, der Mann ist hochgradig verdächtig und hat was zu verbergen.»
«Und Nino?» Lena Serdaris saß jenseits des Couchtisches kerzengerade auf einem hellblauen, lederbezogenen Kubus. Sie strich sich mit verzagtem Blick durch die Haare, eine nervöse, ruckartige Bewegung, die Sonja Manteufel schon von ihr kannte.
Manteufel seufzte. «Dein Nino ist heute
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