Staustufe (German Edition)
Rattenplage.
«Mer kann aber doch die armen Vögelchen nicht verhungern lassen», kommentierte das Frau Rölsch.
Sonja stimmte aus taktischen Gründen zu und erkundigte sich, ob Frau Rölsch die fütterkritische Walkerin heute schon gesehen habe.
Nein, und auch in den letzten Tagen nicht, lautete die Antwort. «Die fürchtet sich bestimmt allein hier draußen, jetzt, wo des alles passiert ist.»
«Wissen Sie zufällig, wie die Frau heißt oder wo sie wohnt?»
«Wie sie heißt net, aber wohnen tut die dahinten. Wenn Sie da übers Bootshaus dribe gucken, da ist so ein weißes Haus mit einem einzelnen Balkon in der Mitte. Da wohnt die. In der Wohnung mit dem Balkon. Mir haben die im Sommer da schon öfters mal drauf gesehen … Stimmt des eigentlich, dass der Italiener von oben bei uns im Haus verhaftet worden ist in der Sach?»
«Das stimmt wohl schon», gab Sonja zu. «Aber ich glaube, die Polizei tappt noch ziemlich im Dunkeln.»
Sie ihrerseits wollte jetzt eigentlich nur nach Hause. Auf dem Weg konnte sie feststellen, dass Frau Rölsch das Wohnhaus der mysteriösen Zeugin unverwechselbar beschrieben hatte. Doch kam man vom Main aus nicht hin; das umzäunte Areal des Ruderclubs lag dazwischen. Laut dem, was Sonja eben gehört hatte, war die Fremde völlig unverdächtig. Es gab aber nun einmal diese Ungereimtheit in den Aussagen der Anwohner. Sonja musste dringend mit der Frau sprechen. Erst recht, seit sie wusste, dass sie von ihrem Balkon aus Mainblick hatte.
Körperlich völlig am Ende, erreichte sie ihr Ziel schließlich in einem weiten Bogen außenherum. Viele Klingeln gab es nicht an dem weißen, solide wirkenden Haus aus den zwanziger oder dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts. Auf dem Klingelschild, das zu der Balkonwohnung im dritten Geschoss gehören musste, stand «Amelie Schmidtmann». Sonja drückte den Knopf. Nichts regte sich. Wahrscheinlich war die Frau heute einfach woanders walken gegangen und deshalb nicht da.
Plötzlich öffnete sich die Haustür, und ein junger Mann trat heraus.
«Entschuldigung, wohnen Sie zufällig in der Wohnung mit dem Balkon?», fragte Sonja ihn.
«Was ist denn das für eine Frage?», lachte er. «Nein, da wohnt die Frau Schmidtmann. Wieso, worum geht’s?»
«Ich bin Anwältin. Ich bräuchte von der Frau Schmidtmann eine Information, aber sie hat nicht geöffnet. Haben Sie sie in letzter Zeit gesehen?»
«Die Frau Schmidtmann ist bis Samstag in München. Ich leere nämlich den Briefkasten für sie.»
«Haben Sie vielleicht Ihre Handynummer?»
«Tut mir leid, nein, und ich muss jetzt wirklich weg.»
Sonja stöhnte. So einfach war das offenbar nicht mit den eigenen Ermittlungen. Und das alles wahrscheinlich sowieso für nichts und wieder nichts.
Die Wahrheit war, sie wollte sich bloß selbst einreden, dass sie irgendwie gebraucht wurde.
Winter war am folgenden Tag der Erste im Büro, ausnahmsweise.
Es war noch nicht einmal ganz hell. Er hatte Sara vorhin zur Schule gefahren – nachdem sie beim Wecken um halb sieben ohne jede Erklärung verkündet hatte, sie wolle heute nicht gehen. Carola hatte das nicht akzeptiert. Und Winter gab Carola diesmal völlig recht. Sara driftete total ab. Solche Sitten durfte man nicht einreißen lassen. Carola drohte, entweder Sara mache sich jetzt schulfertig oder sie werde stante pede in die Jugendpsychiatrie geschickt, wo sie sowieso hingehöre. Winter selbst beschränkte sich darauf zu sagen, es gebe keinen Grund, nicht in die Schule zu gehen, wenn man nicht krank sei. Er müsse heute auch zur Arbeit, obwohl er seit Tagen kaum geschlafen habe. Und falls sie einen Grund habe, dann solle sie es gefälligst sagen, aber eine bloße Laune könne er nicht akzeptieren. Um zwanzig nach sieben lud er eine schmollend und unglücklich nach unten starrende Sara ins Auto, um sie höchstpersönlich vorm Schultor abzusetzen. Er wartete sogar draußen, bis sie das Gebäude betreten hatte.
Kaum hatte er jetzt seinen Rechner hochgefahren, fand er eine Nachricht von Aksoy, gestern um halb sechs geschrieben, die ihm einen Schock versetzte.
Sara ist vorgestern Abend alleine an der Staustufe zurückgeblieben, während der Rest der Clique wohl gegen 20:00 Uhr zurück in die Stadt fuhr. Sie will auf der Brücke auf jemanden gewartet haben, dessen Namen sie mir aber nicht nennen wollte. Möglicherweise handelt es sich um den Freund, der das Mainmädchen kannte. Möglicherweise ist dieser wiederum identisch mit dem ertrunkenen Jungen von
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