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Staustufe (German Edition)

Staustufe (German Edition)

Titel: Staustufe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Reichenbach
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nachsehen. Falls sie, Gott bewahre, Sara morgen als nächste Wasserleiche im Rechen des Kraftwerks fänden, er würde es sich niemals verzeihen, nicht hingefahren zu sein. Rasch sah er noch im Schlafzimmer vorbei.
    «Carola? Ich muss noch mal los. Mir ist die Idee gekommen, Sara könnte bei der Staustufe sein. Ich will da jetzt mal nachsehen.»
    «Bei der Staustufe?»
    Carola blickte verständnislos. Er hatte ihr ja kaum etwas erzählt von dem Fall. Alte Sitte aus den Zeiten, da die Kinder noch klein waren: keine Geschichten über die Arbeit zu Hause.
    «Am Main in Griesheim. Da war sie wohl gestern Abend mit ihren Freunden. Ich fahr da jetzt einfach mal hin.»
    «Bitte, wenn du dir noch einmal die Nacht wegen Sara um die Ohren schlagen willst.»
    So sah sie das also. Im Moment wusste er einfach nie, wie Carola reagieren würde.
    «Willst du nicht mitkommen?», fragte er, aus einem Impuls heraus.
    «Ich bin doch schon im Nachthemd.»
    Das zog sie neuerdings meist schon um acht an, zum Zeichen, dass ihr Fernsehabend begann. Oder war das Nachthemd etwa eine Einladung an ihn, die er fortwährend nicht verstand?
    Auf der Fahrt entlang der nächtlichen Mainzer Landstraße schien es Winter absurd, dass er Aksoys Idee gefolgt war. Und Carola hatte natürlich recht. Es war halb elf, er hatte zwei Nächte nicht geschlafen, er gehörte ins Bett. Sara war rücksichtslos, dass sie ihre Eltern so in Sorge zu Hause sitzenließ.
    Plötzlich fiel ihm ein, wie sie als kleines Kind immer wieder Pseudokrupp-Anfälle hatte. Da kam sie mit rasselndem Atem und blauen Lippen nachts ins Schlafzimmer getorkelt. Er hatte sie voller Panik in die Notaufnahme des nahen Krankenhauses gebracht. Damals hatten sie sich viele Nächte wegen ihr um die Ohren geschlagen. So war das wohl mit Kindern. Die waren öfter krank. Jetzt hatte Sara eben eine Krankheit namens Pubertät.
    Als Winter schließlich am Ende der Elektronstraße aus dem Auto stieg und den Main vor sich liegen sah, kam ihm unweigerlich das Mainmädchen in den Sinn. Vor nicht einer Woche hatte ein Fußgänger hier nachts eine Leiche getragen. Einfach so, in den Armen? Wohl kaum. Sonst hätten sie an mehr als einer Stelle Blut am Boden finden müssen. Verpackt in Decken? Oder einen Plastiksack? Der erst oben bei der Brüstung geöffnet wurde. – Stopp. Und wenn es zwei waren, die die Leiche getragen hatten? Serdaris und Benedetti? Vielleicht spielten die beiden ein ganz gewieftes Spiel mit ihnen?
    Doch als Winter sich am Uferweg der Staustufe zuwandte, waren die Gedanken an das Mainmädchen vergessen. Unter dem schwachen Licht des Staustufen-Fußgängerüberwegs sah er eine einsame Gestalt über die Brüstung einer der Aussichtsplattformen gebeugt. Ein Mädchen. Man sah kaum etwas. Doch er wusste, dass es Sara war.
    Winter hielt mit schnellen Schritten auf die Stauwehre zu. Sein Herz war voller Wärme und zugleich voller Angst. Dieselbe Angst wie damals bei den Pseudokrupp-Anfällen: Angst, er könnte sein kleines Mädchen verlieren. Denn vielleicht war sie tatsächlich hierhergekommen, um sich ins Wasser zu stürzen. Er wagte zunächst nicht zu rufen. Aber als er die steilen Betonstufen zur Fußgängerbrücke hochstieg, fiel ihm ein, dass Sara Angst bekommen würde, wenn sie nachts hier oben Schritte hörte. Nach allem, was passiert war. Und dann könnte sie erst recht springen.
    «Sara?», rief er, als er den metallenen Übergang erreichte. «Sara, bist du das?»
    Das Mädchen vorn an der Aussichtsplattform drehte sich um. Sie war es. Er kannte den Gesichtsausdruck so gut. Von der vierjährigen Sara kannte er ihn, die sich das Knie böse aufgeschürft hatte und tapfer bemüht war, nicht zu weinen. Mit schnellen Schritten ging er Richtung Plattform, ging einfach auf seine Tochter zu und schloss sie in die Arme.
    «Mensch, Sara, mein Mädchen.»
    Sie schmiegte sich an ihn, begann an seiner Schulter zu schluchzen.
    «Mensch, Hase, was ist denn?», fragte er sanft. So fest hatte er seine Tochter schon lange nicht mehr gehalten. Aber sie antwortete nicht.
    Nach einer Weile hob sie das verweinte Gesicht von seiner Jacke. «Woher hast du gewusst, dass ich hier bin?», schniefte sie.
    «Väterliche Intuition», behauptete er. «Was ist denn passiert, mein Hase?»
    Sie sah zur Seite, schniefte wieder. «Nichts.»
    Er musste sich etwas beherrschen, um nicht ärgerlich zu wirken. «Soso. Nichts. Also, Hase, du musst nicht drüber reden, wenn du nicht willst. Aber wenn du was zu erzählen hast,

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