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Staustufe (German Edition)

Staustufe (German Edition)

Titel: Staustufe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Reichenbach
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auszuscheren aus der Herde … traurig. Jedenfalls, hier endet diese Begebenheit. Das Mädchen erhob sich und verließ mich. Sie wolle zu ihrem Freund.»
    Kollege Kettler kratzte behaglich seine sich um die Halbglatze rankenden Locken. «Soso», sagte er. «Aber das kann ja wohl kaum alles gewesen sein.»
    Naumann zeigte wieder sein süffisantes Lächeln.
    «Nein, lieber junger Freund, das war nicht alles, und das habe ich auch nicht behauptet. Doch es mangelt Ihnen leider, wie so vielen der Generation Twitter, an der Fähigkeit, Erzählungen zu folgen, deren Spannungsbogen über mehr als zwei Sätze verläuft. Würden Sie mir jetzt freundlicherweise erlauben, meinen Bericht fortzusetzen?»
    «Gern, aber eine Frage hätte ich noch», mischte sich Aksoy ein. «Wann hat sich denn die eben beschriebene Szene zugetragen?» Sie musste fast über sich selbst lachen, weil sie sich plötzlich ähnlich geschwollen anhörte wie Naumann.
    «Das kann ich Ihnen nicht genau sagen.»
    «Letzten Freitag?»
    «Nein, nein, lange davor. Vielleicht Anfang der letzten Woche. Vielleicht auch Ende der vorletzten Woche. Bitte fragen Sie mich nicht nach einem genaueren Termin; ich pflege über meine Begegnungen mit traurigen Mädchen nicht Buch zu führen.»
    «Traurig wirkte sie also?»
    «Ich glaubte das bereits deutlich gemacht zu haben.»
    «Okay. Und wie ging es weiter? Wann sahen Sie das Mädchen das nächste Mal?»
    «Einige Tage später, während ich an der Arbeit saß, sah ich sie noch einmal den Uferweg entlangwandeln. Sie winkte mir zu und ich etwas ungehalten zurück. Daran erinnere ich mich nur, weil sie mich an einer höchst zentralen Stelle störte; ich hatte gerade die richtige Formulierung gefunden, und ihr Anblick – doch diese Details aus dem Leben eines Schriftstellers dürften Sie nicht interessieren. Meine nächste Begegnung mit der unglücklichen Person ereignete sich letzten Donnerstagnachmittag. Ich blickte hoch und entdeckte sie neuerlich auf dem Anlegesteg des Ruderclubs. Sie saß ganz am Rand. Mir fiel ein, dass der Zutritt zum Steg für Unbefugte verboten und es auch nicht ganz ungefährlich ist, dort zu sitzen. Dieser Steg schwimmt auf der Wasseroberfläche. Es muss nur eine etwas größere Welle kommen … und sie hatte mir ja gesagt, sie könne nicht schwimmen. Ich verließ also mein Boot, um sie zu warnen. Just als ich den Steg erreichte, näherte sich ein großer Frachter. Ich machte das Mädchen darauf aufmerksam, dass es gleich Wellen geben werde und sie hier gefährlich sitze. So konnte ich sie gerade noch rechtzeitig dazu bewegen, aufzustehen und sich aufs Trockene zu begeben. Dabei erzählte sie mir, sie sei heute besonders unglücklich, da sie ihren Freund verloren habe. Sie wisse nicht einmal, wo sie heute übernachten solle. Morgen werde sich sicher etwas finden, für heute sei es ein wenig spät. In der Tat dämmerte es bereits. Dann fragte sie, wie ich bereits befürchtet hatte, ob sie bei mir übernachten könne. Ich bejahte das schweren Herzens, weil ich mich nicht mitschuldig an einem Suizid machen wollte.»
    Wenn du willst, kannst du heut Nacht bei mir pennen.
    Echt? Cool!
    «Und? Was dann?»
    «Nichts weiter. Ich wollte ihr zunächst gentlemanlike mein Bett anbieten, als mir jedoch auffiel, dass sie nicht gut roch …»
    «Wie roch sie denn?»
    Naumann lächelte gespielt betreten.
    «Ist Ihnen schon einmal das Unglück widerfahren, in der U-Bahn in der Nähe eines alkoholisierten Obdachlosen zu sitzen? So ungefähr roch sie.»
    Sobald sie das Boot betreten hatten, merkte er, dass von ihr ein keineswegs billiger Parfümduft ausging, der ihn erregte. Ein Duft wie von den reifen, schönen, gutsituierten Frauen, denen man auf Verlagspartys während der Buchmesse begegnete. Als sie den Umhang abnahm, kam eine unschuldige Note hinzu: der Geruch frisch geschrubbter und gepuderter Kinderhaut. Ihre feinen Haare flogen locker durch die Luft, gekämmt, nicht die Spur fettig.
    «Okay. Sie roch also schlecht. Und weiter?»
    «Zudem stellte sich heraus, dass sie rauchte, und ich wollte mir nicht mein Schlafzimmer einräuchern lassen. Also verbannte ich sie zum Schlafen ins Wohnzimmer, wo sie dann leider meine Wolldecken verseuchte.»
    «Verseuchte? Was soll das heißen?»
    Naumann sah sie mitleidig an.
    «Nichts weiter, als dass mir in den nächsten Tagen auffiel, dass ein Geruch von ihr zurückgeblieben war. Als sich dies durch Lüften nicht besserte, machte ich schließlich die Wolldecken als Quelle

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