Steels Duell: Historischer Roman (German Edition)
an Marius. Was hätte er getan? Denkt an Eure Leute.«
Fabritius starrte ihn mit leerem Blick an. Dann schwand der Ausdruck von Furcht und Unentschlossenheit aus seinen Augen. »Tut mir leid, Captain, ich …«
Steel lächelte und ließ den Mann los. »Ihr braucht Euch nicht zu rechtfertigen. Bringt uns nur aus der Stadt.«
Daraufhin glitt Fabritius in die Schatten eines der wenigen Fachwerkhäuser, die die Bombardierung überstanden hatten, und eilte wieder voraus. Die anderen folgten. Und so ging es weiter, von Gasse zu Gasse, von einer Hausecke zur nächsten. Des Öfteren bedeutete ihr Führer ihnen, ein Stück des Weges zurückzugehen, wann immer sich Gefahren abzeichneten. Steel hatte das Gefühl, dass sie drei Schritte nach vorn und zwei Schritte zurück machten, so schwierig war es, sich unbemerkt durch die Stadt zu stehlen. In Wirklichkeit mochten sie eine Stunde unterwegs sein, doch Steel kam es mehr als doppelt so lange vor. Schließlich, als das Rauschen der See immer deutlicher zu hören war, ahnte Steel voller Hoffnung, dass sie nicht mehr weit von den westlichen Mauern entfernt sein konnten. Wenn Fabritius und dessen unsichtbare Kameraden aus der Gemeinschaft schild ende vriend alles richtig gemacht hatten, dann musste irgendwo dort vorn die verborgene Tür sein, durch die sie in die Dünen und in Sicherheit gelangen würden. Ein Schlupfloch in Vaubans ansonsten uneinnehmbarer Festung.
Steel wurde plötzlich von einem Schauer erfasst, als er in Gedanken wieder in Trouins Folterkeller war. Er dachte an Brouwer, an die Loyalität dieses Mannes und daran, wie sehr er hatte leiden müssen. Und er fragte sich, was wohl geschehen wäre, wenn er, Steel, den Flamen nicht überredet hätte, die Pamphlete zu ignorieren und Marlborough zu vertrauen. Wer, so ging es Steel durch den Kopf, hatte nun wen verraten? Er sehnte sich danach, diesen Ort der Finsternis zu verlassen. Wenn auch nur für wenige Stunden. Denn dann würde er zurückkehren, an der Spitze seiner Grenadiere, und den Tod des armen Mannes rächen. Wenn sie doch nur ein wenig schneller vorankämen und endlich am Ausfalltor wären! Steel überlegte gerade, ob man nicht die letzten Meter rennen könnte, als ihn eine Stimme erstarren ließ.
Über ihnen auf den Mauern rief jemand in ihre Richtung: »Halte. Qui passe? Annoncez vous!«
Man hatte sie entdeckt. Slaughter warf Steel einen besorgten Blick zu, als alle vier wie angewurzelt stehen blieben. Steel lauschte in die Stille. Doch der Franzose rief erneut: »Annoncez vous!«
Steel erkannte, dass ihnen keine andere Wahl blieb, und war im Begriff, seine Position preiszugeben. Notfalls würde er sich den Weg freikämpfen. Doch zu seinem Erstaunen antwortete eine zweite Stimme der ersten.
»Claude, c’est moi. Marcel. Ne tirez pas.«
Steel schloss erleichtert die Augen. Oben auf dem Wehrgang, der unmittelbar über ihren Köpfen verlief, unterhielten die beiden Wachtposten sich nun und lachten. Steel verstand nicht alles, hörte aber, dass die beiden sich über irgendein Mädchen in Dünkirchen unterhielten. Wieder schallte Lachen nach unten. Jetzt oder nie. Steel tippte Fabritius auf die Schulter. Der Flame nickte und schlich weiter, worauf die anderen ihm entlang der Wehrmauer folgten. Aber sie kamen wieder nur langsam voran. Jeder Schritt barg ein Risiko, kein Schuhabsatz durfte auf dem Kopfsteinpflaster klacken. Zweimal rutschte Slaughter auf den glatten Steinen aus und ließ einen unterdrückten Fluch hören. Alle blieben stehen. Aber die Wachen schienen nichts mitbekommen zu haben; das Lachen und Scherzen begleitete die Flüchtenden auf ihrem mühsamen Weg. Steel achtete so sehr auf seine Schritte, dass die Öffnung in der Mauer völlig überraschend für ihn kam. Doch es war noch nicht das Ausfalltor, sondern ein Durchgang in der inneren Mauer. Nirgends war eine Wache zu sehen. Fabritius hatte seine Sache sehr gut gemacht. Steel fragte nicht, was aus dem Wachtposten geworden war. Vielleicht schreckten die Anhänger der flämischen Volksbewegung nach dem Tod Brouwers nicht mehr davor zurück, selbst Gewalt anzuwenden.
Rasch waren sie in dem Durchgang verschwunden und befanden sich nun direkt unterhalb der Wachen, die auf dem Wehrgang standen. Sie erreichten einen Graben zwischen innerer und äußerer Mauer. Dies war der gefährlichste Augenblick, wie Steel unschwer erkannte. Instinktiv drückten sie sich eng an das Mauerwerk und schoben sich Schritt für Schritt an der Wand entlang, in
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