Steels Duell: Historischer Roman (German Edition)
sich derweil weiter, bis er gegen Slaughters Beine stieß. Der Sergeant hatte sich offenbar hingesetzt und die Arme um die angewinkelten Beine geschlungen. Steel spürte die Angst des Mannes. Er ging neben seinem Sergeant in die Hocke und berührte ihn am Arm.
»Jacob, keine Sorge. Wir sind gleich hier raus. Wir haben fast den Ausgang erreicht. Und dann ist so viel Luft zum Atmen da, wie Ihr nur wollt. Wir sind gleich in den Dünen, treffen unsere Kameraden wieder. Kommt, Mann. Das passt nicht zu Euch.«
Doch Steel ahnte, dass Slaughter einen inneren Kampf mit sich ausfocht. Denn so tapfer der Hüne auch auf dem Schlachtfeld war, der Sergeant hatte einen wunden Punkt. Er hielt es nicht lange in engen, geschlossenen Räumen aus. Als Junge hatte man ihn gezwungen, in einer der neu eröffneten Kohleminen in seiner Heimat County Durham zu arbeiten. Bald war er fortgelaufen und hatte sich nur deshalb zur Armee gemeldet, weil er es nicht länger in der Enge des Bergwerks ausgehalten hatte. Hier in diesem finsteren Tunnel hocken zu müssen, war die Hölle für ihn.
»Tut mir leid, Sir«, murmelte Slaughter. »Ist die Dunkelheit … und die Mauern. Und diese Hitze hier drin, Sir. Ich kann nicht weiter.«
»Ihr müsst Euch aufraffen, Jacob. Eure Männer verlassen sich auf Euch. Was würden die Burschen wohl sagen, wenn sie Euch so sähen? Und jetzt kommt, Mann. Ich stütze Euch. Kommt mit.«
Vorsichtig zog Steel seinen Sergeant auf die Füße und führte ihn langsam in Richtung der anderen.
»Ist alles in Ordnung, Captain?«, hörten sie Fabritius’ Stimme.
»Alles bestens. Der Sergeant hat sich bloß den Kopf an der Decke gestoßen. Der Bursche ist einfach zu groß. Ideal für einen Grenadier, aber in Tunneln nicht zu gebrauchen. Gehen wir weiter.«
Sie setzten ihren Weg fort. Steel tastete nach Henriettas Hand. Während er die Dame links von sich wusste und den Sergeant mit der freien Hand stützte, kamen sie sogar noch schneller voran als zuvor. Kurz darauf stieg Steel der Geruch von menschlichen Exkrementen in die Nase. Der Gestank kam von einem parallel verlaufenden Abwasserkanal, der stellenweise rissig geworden war, sodass der Unrat in den Boden sickerte.
Slaughter verspannte sich. »Jetzt reicht’s, Mr. Steel. Ich hab genug. Keinen Schritt geh ich weiter in dieser stinkenden heißen Hölle. Ich will zurück.«
Doch Steel ließ seinen Sergeant nicht los und erhöhte den Druck sogar noch. »Ihr bleibt hier, Jacob. Alles wird gut. Ich bin sicher, dass es jetzt nicht mehr weit ist. Kommt schon, Mann, vielleicht nur noch zehn Yards.«
Fabritius war ein wenig vorausgeeilt, gefolgt von Henrietta, die den Gestank nicht mehr ausgehalten hatte. Steel zog Slaughter mit sich, schloss zu den anderen auf und hoffte, dass er sich mit der Entfernung nicht verschätzt hatte. Endlich sah er es – einen Schimmer, nicht mehr als ein Lichtpunkt. Alle sahen sie nun den matten Schein, und der Duft der See war überwältigend. Es gab keine Tür ins Freie, und wo einst nur ein Loch geklafft hatte, hatte sich im Laufe der Zeit eine natürliche Barriere aus Buschwerk und Wurzelgeflecht gebildet. Steel setzte sich an die Spitze der kleinen Gruppe und zog langsam den Degen.
»Zurückbleiben, alle!«, zischte er.
Mit einem Hieb zerschlug er die dickste Wurzel und war überrascht, wie leicht die Klinge durch das knorrige Holz glitt. Nach zwei, drei weiteren Schlägen konnten sie den Himmel sehen. Kurz darauf hatte er so viele Wurzeln entfernt, dass man den Arm durch das Loch stecken konnte. Slaughter trat vor und zog ebenfalls seinen Degen.
»Wenn Ihr erlaubt, Sir, ich gehe Euch zur Hand.«
Es dauerte nicht lange, und beide hatten eine Öffnung geschaffen, die breit genug für einen Mann war. Dann waren sie frei. Einer nach dem anderen kletterten sie hinaus, rannten die Düne hinunter und rutschten die letzten Meter mehr schlecht als recht bis ganz nach unten. Am Fuße der Düne, die sich entlang der äußeren Befestigungsanlage zog, blickte Steel sich noch einmal keuchend um. Er sah die Mauern, die sich nun gut vierzig Fuß über ihren Köpfen befanden. Matt hoben sie sich im Mondschein vom Firmament ab.
Steel ging in die Hocke und rang nach Luft. Henrietta lag am Fuß der Düne; ihre Brust hob und senkte sich im Rhythmus ihrer schnellen Atemzüge. Ganz in ihrer Nähe entdeckte er Fabritius und Slaughters große Gestalt; beide sogen gierig die frische Seeluft ein.
Niemals war frische Luft so herrlich gewesen wie in diesem
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