Steels Duell: Historischer Roman (German Edition)
Richtung Norden. Nach etwa dreißig Yards löste Fabritius sich aus den Schatten, bog nach links ab und rannte los. Steel sah, wie der Flame sich umschaute, als vergewisserte er sich, dass die anderen ihm folgten. Steel nahm Henrietta bei der Hand und eilte los; Slaughter folgte als Letzter.
Ihre Schritte waren kaum zu hören. Der Graben war grasbewachsen und von den Mauern gut einsehbar, damit Eindringlinge von den Wehrgängen ins Kreuzfeuer genommen werden konnten. Doch in dieser Nacht, dachte Steel, hatte sich Vaubans Baukunst einmal zugunsten der Feinde Frankreichs gewendet. Schnell hatten sie den Graben überwunden und erreichten die Außenmauer. Doch dies war der Augenblick, wo jeder Wächter, der im Mondlicht zufällig zum Lager der Alliierten hinüberschaute, sie entdecken würde. Steel malte sich schon aus, wie Rufe von der Mauer schallten, Musketen angelegt wurden und Schüsse krachten. Doch nichts dergleichen geschah. Stattdessen hörte er Fabritius leise flüstern: »Sir, hier geht’s weiter, Captain.«
Steel spähte in Richtung des Flamen und sah, dass Fabritius ihnen winkte. Sie sollten ihm in einen Tunnel folgen, der in den Fels gehauen war. Die Wände des Tunnels waren mit Backsteinen ausgekleidet, und durch Spalten in der Decke fiel Licht von oben herein. Gemeinsam schlüpften sie ins Halbdunkel des Tunnels. Doch als Vaubans präzise ausgeführte Konstruktion endete, sah Steel zu seiner Verwunderung nichts als die glatte Wand einer Sackgasse. Er wandte sich Fabritius zu und war im Begriff, etwas zu sagen, als der Flame vortrat und einige Binsen und Büsche am Boden zur Seite drückte. Steels Blick fiel auf eine Schlupftür in der Außenmauer, die mit Backsteinen umrandet worden war. Fabritius streckte die Hand nach dem schwarzen Griff aus und drehte ihn. Langsam ging die Tür auf, und gemeinsam spähten sie in die dahinterliegende Dunkelheit. Im nächsten Moment waren sie in dem Gang hinter der Schlupftür, worauf Slaughter sie leise hinter sich zuzog.
Dann umgab sie nichts als Dunkelheit. Steel konnte nichts sehen. Auch nach ein paar Sekunden des Wartens nicht. Es war nicht so wie in einem dunklen Haus, wenn das Auge sich nach und nach an die Lichtverhältnisse gewöhnte. Nein, dies war eine unvorstellbare Finsternis. Und es war verdammt heiß in dem Gang.
Anders als in den Kasematten hatte Vauban hier keine Belüftungssysteme einbauen lassen. Denn der Tunnel hatte nur die Funktion, einen Ausfall zu planen, um den Feind draußen vor den Mauern zu überraschen. Steel hörte, wie Henrietta die Luft einsog.
»Jack? Captain Steel? Seid Ihr da? Ich kann die Hand nicht vor Augen sehen.«
»Ich bin hier, Ma’am. Wir sind alle bei Euch. Nicht wahr, Sergeant? Mr. Fabritius?«
»Sir.«
»Gut, Captain«, war Fabritius’ Stimme zu hören. »Ich denke, wir sollten weiter. Hier ist nicht allzu viel Luft zum Atmen.«
»Ja, Ihr habt recht. Gehen wir. Vorsicht, Mylady. Hier, nehmt meine Hand.« Steel bot der Dame aufs Geratewohl seinen Arm und berührte Henrietta an der Taille. Schnell legte er den Arm um sie und zog sie leicht an sich. »Jetzt kann Euch nichts mehr geschehen, Mylady. Bleibt immer dicht bei mir.«
Jeder tastete sich mit einer Hand an der Wand entlang, als sie ihren Weg in der Dunkelheit fortsetzten, in der Hoffnung, bald auf den Ausgang in die Freiheit zu stoßen. Ab und zu versuchte Steel, Lady Henrietta mit dem festen Druck seiner Hand Mut zu machen. Weiter vorn hörte er Fabritius’ Schritte auf dem festgestampften Boden des Tunnels. Der Weg schien ein wenig abschüssig zu werden. Steel glaubte, dass die leichte Böschung sie geradewegs zu den Dünen führte.
Sie hatten etwa zweihundert Yards hinter sich gebracht, als Steel das Gefühl hatte, keine Schritte mehr hinter sich zu hören. Der Sergeant war nicht mehr da. Erschrocken fuhr Steel in der Dunkelheit herum und spähte in den Tunnel, doch er konnte nichts sehen, keine Schemen, keine Konturen.
»Jacob?«, rief er leise. »Seid Ihr noch da?«
Nichts. Dann aber – zwanzig, dreißig Schritte aus der Richtung, aus der sie gekommen waren – vernahm er eine matte Stimme.
Steel ließ Henrietta in der Finsternis stehen und tastete sich in dem Tunnel zurück. Jetzt konnte er Slaughter besser hören.
»Nein. Nein, sage ich«, stieß Slaughter mit keuchender Stimme hervor. »Ich gehe keinen Schritt weiter. Niemals. Und wenn Ihr mich zwingt. Ich gehe nicht weiter.«
»Jacob? Was ist los?«
Der Sergeant war verstummt. Steel tastete
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