Steels Duell: Historischer Roman (German Edition)
entkommen?«, fragte sie hilflos.
»Wir warten, bis es dunkel ist. Es gibt eine kleine Tür in den westlichen Befestigungsanlagen. Brouwer hat sie mir beschrieben. Es ist eine Art Ausfalltor, das die Verteidiger benutzen, um die Angreifer zu überraschen. Wie es scheint, wissen die Franzmänner davon nichts. Aber Marius kannte diesen Ausgang. Er hat mir erzählt, dass er und seine Freunde als Kinder dort gespielt haben und sich als Schmuggler oder Piraten verkleideten. Sorgen wir dafür, dass Marius als Letzter lacht. Denn Brouwers Leute halten uns diesen Ausgang auf. Für Euch, mich und Sergeant Slaughter. Durch diese Tür werden wir auch den Angriff lenken. Wahrscheinlich morgen.«
»Und Ihr wollt bei diesem Angriff dabei sein?«
»Dabei sein? Ich habe die Absicht, ihn anzuführen.«
»Ist das nicht sehr gefährlich?«
»Ja.«
»Werdet Ihr sterben?«
»Vielleicht.«
»Ich möchte nicht, dass Ihr ums Leben kommt, Jack. Ich glaube, ich könnte es nicht ertragen.«
Er sah ihr in die Augen. »Ich bin Soldat. Es ist mein Beruf. Ich kenne nichts anderes.«
»Ihr kennt jetzt mich.«
Er ging darauf nicht ein und nahm den Blick von ihr.
»Und ich weiß, dass Ihr ein guter Mensch seid«, fuhr sie fort. »Und dass Ihr nicht getötet werden dürft. Ist der Einsatz es wirklich wert?«
Wieder suchte er ihren Blick. »Er muss es wert sein. Denn ich glaube an das, wofür wir kämpfen. Wir bekämpfen die Franzosen, kämpfen gegen König Ludwig, damit er sich nicht ganz Europa einverleibt. Dafür lohnt es sich, in die Schlacht zu ziehen. Wenn nicht, ist mein Leben nicht mehr wert als eine Lüge.«
Sie schwieg eine Zeit lang. »Und wenn Ihr diese Stadt erobert habt? Was dann?«
»Dann ziehen wir weiter zur nächsten. Und zur nächsten und übernächsten, wie Marlborough es vorgibt. Dünkirchen. Lille. Wer weiß, vielleicht geht es bis nach Paris. Und auf dem Weg dorthin, so Gott will, treffen wir wieder auf eine französische Armee, die wir besiegen müssen.«
»Und Ihr werdet zwischendurch nie nach England zurückkehren?«
»Ich bin Soldat, Henrietta, ein Offizier in Marlboroughs Armee. Ich habe meine Position, ich trage Verantwortung, führe Männer, die sich auf mich verlassen. Wie kann ich da nach Hause fahren und sie zurücklassen?«
»Vielleicht würdet Ihr den Antrag auf Heimreise in St. James’s einreichen, wenn Ihr wüsstet, dass jemand in London auf Euch wartet. Vielleicht würde das Eure Ansichten ändern. Wenn jemand wirklich an Euch denkt.«
Der Gedanke entzog sich all seinen Hoffnungen. Meinte sie es wirklich so, wie sie es andeutete?
»Ihr kennt mich doch kaum«, sagte er leise und traute sich kaum, die Worte auszusprechen. Woher wollt Ihr mich auch kennen?, fügte er in Gedanken hinzu.
Sie nahm seine Hand in ihre. »Wenn zwei Menschen etwas so Schlimmes durchstehen müssen, wie wir es hinter uns haben, dann kennen sie einander durch und durch. Ihr müsst mir vertrauen, Jack. Vertraut Ihr mir nicht?«
Er sah sie wieder an, nahm ihre Schönheit in sich auf, ehe er sich unter Schmerzen auf einem Ellbogen abstützte, sich zu ihr hinabbeugte und sie küsste. Er genoss den Geschmack ihrer Lippen auf seinen und spürte, wie ihr weiblicher Duft seine Sinne umspielte.
Es klopfte an der Tür.
Steel löste sich von ihren Lippen und stand auf. Dann zog er rasch seine Weste straff und strich sich die Breeches glatt. Wieder ein Klopfen. Er sah Henrietta an, lächelte und wurde mit einem liebevollen Blick aus ihren klaren Augen belohnt. Doch in ihrem Lächeln entdeckte er einen Hauch von Ernsthaftigkeit. Er wandte sich der Tür zu.
»Wer ist da?«
»Sergeant Slaughter, Sir.«
»Kommt herein, Sergeant.«
Die Tür ging auf, und Slaughter trat ein. Sein erster Blick fiel auf Steel, der zweite auf Lady Henrietta. »Tut mir furchtbar leid, Sir, aber Ihr habt Besuch unten. Es ist der französische Lieutenant, Sir.«
Lady Henrietta, die sich die Decke bis unters Kinn gezogen hatte, machte Anstalten aufzustehen. »Sollte ich nicht besser …?«
Steel bedeutete ihr, liegen zu bleiben. »Nein, bitte nicht. Bleibt liegen und schont Euch noch ein wenig. Wir sind gleich zurück.«
Er folgte Slaughter aus dem Zimmer und zog die Tür hinter sich zu.
Unten traf er den Lieutenant, der ihn gerettet hatte. Er wartete mit zwei weiß uniformierten Infanteristen auf Steel. Instinktiv griff Steel sich an die Seite, wo sonst immer sein Degen hing, und entdeckte dann, dass Slaughter die Waffe hatte. Lejeune war Steels
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