Steels Duell: Historischer Roman (German Edition)
erklärt, dass er nur zu gut nachvollziehen konnte, wovon der Niederländer sprach. Denn Steel hatte Gräueltaten dieser Art mit eigenen Augen gesehen. Und das war nicht etwa hundert Jahre her, sondern keine zehn. In Schweden und Russland, und erst vor zwei Jahren in Bayern – ein Tag, der ihn bis heute nicht losließ. Die Bilder des Grauens suchten ihn in seinen Träumen heim, rissen ihn aus dem Schlaf, sodass er manche kalte Nacht schweißgebadet dasaß. Ganze Siedlungen waren ausradiert worden, die Bewohner massakriert, darunter Frauen und Kinder. Dörfer kamen unter die Klingen. Frauen wurden vergewaltigt, Kinder aufgespießt. Dies war nicht der Stoff alter Erzählungen oder Volksmythen, dies ereignete sich in der Gegenwart. Gewiss auch jetzt irgendwo, während sie hier standen.
Sie lebten in einer Zeit von Krieg und Schrecken. Einen Moment lang war er versucht, van Cutzem von all diesen Gräueln zu erzählen, aber er ahnte, dass der Mann ihm nicht glauben würde, nicht glauben wollte. Warum sollte er ihm die Illusionen dieses höfischen Kriegsgebarens nehmen? Steel wusste, dass eine Ära zu Ende ging. Marlborough hatte eine neue Armee geformt und die Regeln des Kampfes neu formuliert. Indem sie also an diesen großen Ereignissen teilnahmen, schufen sie eine neue Ära. Und wann immer es auch so weit sein würde, morgen oder in fünf Jahren oder irgendwann in ihrer Lebensspanne – falls sie von einer französischen Kugel verschont blieben –, die alte Welt neigte sich ihrem Ende zu und wäre irgendwann ganz verschwunden. Steel wollte dem Major dessen Traum von Ritterlichkeit lassen. Er kannte die Realität.
Dann erregte eine Bewegung weiter links seine Aufmerksamkeit. Einen Moment lang misstraute er seinen eigenen Augen und zweifelte an seinem Verstand. Er fragte sich, ob van Cutzem letzten Endes nicht doch recht behalten hatte und das Zeitalter des Rittertums zurückgekehrt war.
3.
Linker Hand, hinter den niederländischen Infanteristen, die dicht in ihren blau uniformierten Reihen standen, bot sich ein Anblick, der Steel schier den Atem raubte. Auf der Ebene unterhalb seiner Position warteten hundert Schwadronen der alliierten Kavallerie – die Linie erstreckte sich von den Dörfern Taviers und Ramillies bis zu der großen, grasbewachsenen Erhebung, bei der es sich laut Hansam um ein altes keltisches Hügelgrab handelte. Alles in allem saßen dort fünfzehntausend Mann auf ihren Pferden. Das Sonnenlicht fing sich auf den gezogenen Säbeln und blitzte auf den polierten Kürassen und Brustgeschirren der Rosse. Nicht einmal als junger Fähnrich – während seiner Dienstzeit in Schweden und Russland – hatte Steel je eine derart Ehrfurcht gebietende Präsenz militärischer Stärke gesehen.
Van Cutzem blickte ebenfalls wie gebannt zur Kavallerie hinüber. »Jetzt werden wir ein gewaltiges Gefecht erleben. Deswegen hat Marlborough die Franzosen hier gestellt. Das kann doch nur den Sieg für uns bedeuten.«
Steel beobachtete, wie die Reiter in leichten Trab fielen, und spürte, dass der Boden zu zittern begann. »Ich denke, da habt Ihr recht, Major. Aber was sollen wir machen? Sollen wir auch Ramillies angreifen? Unsere Kavallerie wird die Franzosen gewiss besiegen, aber sie können trotzdem keine Stellung einnehmen, die so stark vom Feind befestigt worden ist. Wir gewinnen zwar das offene Gelände, aber in Wirklichkeit bringt das noch keine Entscheidung.«
Der Niederländer schüttelte den Kopf. »Das mag sein, Captain. Aber unser Befehl lautet, stehen zu bleiben. Wir müssen warten, bis die Kavallerie angegriffen hat. Meine Generäle glauben, dass dieser Tag durch die Kavallerie entschieden wird, nicht durch Infanterie. Tut mir leid, aber meine Befehle, im Übrigen auch der Eure, sind eindeutig. Wir bleiben stehen.«
Steel fasste sich an die Stirn. »Um uns von den französischen Geschützen in Fetzen schießen zu lassen?«
»Wenn es sich nicht vermeiden lässt. So lauten meine Befehle, Mr. Steel. Und ich fürchte, dass Ihr Euch diesem Befehl unterordnen müsst, da Ihr zum gegenwärtigen Zeitpunkt unter meinem Kommando steht.« Ein Reiter näherte sich in leichtem Trab. Ein niederländischer Dragoner, der den Major auf Flämisch ansprach. »Wenn Ihr mich jetzt entschuldigen würdet, Captain. Ich werde zu meinem Brigadier gerufen. Vielleicht werden wir doch noch vorrücken.«
Van Cutzem nahm die Zügel seines Pferds von einem jungen Ordonnanzoffizier entgegen, saß auf und ritt langsam in die hinteren
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