Steels Duell: Historischer Roman (German Edition)
von einer befestigten Wachstube gesichert. Hoch über ihren Köpfen ragte der Turm der Kirche Sankt Peter und Paul auf, und genau hier, an der Verbindung von Kirche und Handel, hatte Trouin sein Hauptquartier: beim Schild des Polarsterns – der Freund und Lotse des Seefahrers. Die Schänke lag an der Kreuzung zweier großer Straßen: Paulus Straat und Sint Francis Straat. Das Haus war so etwas wie eine Zitadelle innerhalb der Zitadelle. Denn von den oberen Stockwerken aus konnte ein aufmerksamer Wachposten den gesamten Straßenverkehr dieses Viertels beobachten. Auf diese Weise ließ sich jede Art von Bedrohung frühzeitig erkennen. Doch Trouin brauchte sich hier nicht in Acht zu nehmen, da in diesem Viertel hauptsächlich seine Männer hausten. Dieser Teil der Stadt quoll tatsächlich von Seeleuten über und ähnelte von seinem ganzen Gepräge eher einem Piratennest der Westindischen Inseln als einem Hafen an der Kanalküste. Während Trouin mit seinem Leibwächter durch das Viertel schlenderte, dachte er über all das nach, was er vorhin gehört und gesehen hatte.
Was für ein Pech, dass Malbec Soldat ist, ging es ihm durch den Kopf. Gewiss hätte er einen guten Piraten abgegeben. Trouin bezweifelte nicht, dass die Berichte von Malbecs Untaten in Bayern der Wahrheit entsprachen. Dennoch, wann immer Trouin sich das Massaker ausmalte, lief ihm ein Schauer über den Rücken. Frauen und Kinder? Man konnte sie als Sklaven verkaufen. Oder zu Bediensteten machen. Aber kaltblütiger Mord? Er bog links ab, entfernte sich weiter von der Schänke und schritt die Straße hinunter, nach wie vor gefolgt von Ajax. Am Torbogen ging er an dem weiß uniformierten Wächter in der Wachstube vorbei und gelangte durch das Tor hinunter zum Hafen. In einer Ecke schnarchte ein betrunkener französischer Seemann in der Lache seiner eigenen Ausscheidungen. Trouin erkannte ihn; er gehörte zu seiner Mannschaft. Vielleicht würde er diesem Kerl am Morgen die Tagesration kürzen. Die Disziplin durfte er nicht schleifen lassen.
Weiter vorn auf der Straße herrschte Unruhe. Einige seiner Leute hatten einen Schlauch Wein gekauft, mitten auf die Straße gestellt und zwangen jeden, der vorbeikam, mit gezückten Messern, davon zu trinken. Ein Geistlicher hatte protestiert, worauf sie sich diesen Mann vorgeknöpft hatten. Als Trouin hinzutrat, hängten zwei seiner Leute den Kirchenmann am Kragen seines Talars am Schild des Kerzengießers auf. Der weißhaarige Mann schrie aus Leibeskräften und schimpfte.
Trouin lachte und nickte seinen Leuten zu. »Lasst ihn nach fünf Minuten wieder herunter, Jungs. Denkt dran, es zahlt sich nicht aus, einen Mann Gottes schlecht zu behandeln. Denn man weiß nie, wann man göttlichen Beistand nötig hat.«
Gewiss schon bald, dachte Trouin bei sich. In den nächsten Tagen würde der Geistliche alle Hände voll zu tun haben. Die Toten mussten bestattet werden, die Schwerverletzten und Sterbenden würden nach der letzten Ölung verlangen. Trouin war inzwischen weitergegangen, blieb am Kai stehen und schaute hinüber zu seinen Schiffen, die dort vor Anker lagen, bewacht von einer Rumpfmannschaft. Vom Ärmelkanal wehte eine leichte Brise herüber. Trouin wünschte, nicht mehr in diesem Loch festsitzen zu müssen; viel lieber wäre er jetzt wieder auf offener See gewesen, mit Kurs auf die Westindischen Inseln oder Nord- und Südcarolina, immer auf der Suche nach der nächsten Prise. Was würde er darum geben, jetzt dort draußen sein zu können! Aber er saß in Ostende fest und wartete darauf, dass die feindlichen Geschütze das Feuer eröffneten.
Er hielt sich weiter rechts, folgte dem Verlauf des Kais nach Westen, nahm die Sterne wahr, die am wolkenlosen Himmel funkelten, und sah zum ersten Mal bewusst die dunkleren, orangefarbenen Lichter, die zu den Camps der Belagerer jenseits des Marschgürtels gehörten. Dort drüben lag eine ganze Armee. Eine siegverwöhnte Armee, die sich einredete, auch diese Stadt zu erobern. Doch ohne ihre Navy waren die Alliierten machtlos. Die Soldaten wären nicht imstande, die Stadt auch nur zu erreichen. Trouin fragte sich, ob der Feind überhaupt von du Casse wusste. Wie mochten die Briten mitsamt ihren Verbündeten auf die Flotte von du Casse reagieren?
Sollte es du Casse hingegen nicht gelingen, rechtzeitig den Hafen anzusteuern und die englischen Schiffe unter Beschuss zu nehmen, wären sie alle gezwungen zu kämpfen, Trouins wie auch Malbecs Männer. Insgeheim sehnte Trouin sich
Weitere Kostenlose Bücher