Steels Duell: Historischer Roman (German Edition)
danach, es mit den Briten aufzunehmen – Mann gegen Mann –, weil er wissen wollte, aus welchem Holz sie geschnitzt waren. Aber womöglich würde es dazu nicht kommen. Die englische Gräfin könnte sich noch als nützlich erweisen. Er lächelte, als er sich die Möglichkeiten ausmalte, die sich ihm eröffneten. Doch vorerst würden sie abwarten müssen, wie entschlossen die Briten mit ihren niederländischen Verbündeten und der Flotte wirklich waren. Welchen Schaden sie anrichteten. Wenn Trouin erst einmal die Stärke des Feindes kannte und die Situation einschätzen konnte, bliebe immer noch genug Zeit, zu anderen Maßnahmen zu greifen. Was immer ihm einfallen mochte.
Er wandte sich an Ajax. »Warten wir ab, was sich ergibt, mein Freund, sobald die Geschosse über diese Mauern fliegen und die Stadtbewohner ihr Leben lassen. Weißt du, Ajax, in mancher Hinsicht ähnele ich Major Malbec. Es ist mir gleich, was aus all diesen erbärmlichen Leuten hier wird. Aber anders als bei ihm geht es mir nicht um Gefühle, sondern um die Vernunft. Sobald die Zivilisten sterben, wird der Gouverneur verzweifelt nach einer Möglichkeit suchen, die Briten dazu zu bewegen, das Feuer einzustellen. Und ich weiß auch schon, wie sich das bewerkstelligen ließe.«
Denn in einem Punkt war er sich sicher: Der große René Duguay-Trouin hatte nicht die Absicht, sich von den Engländern gefangen nehmen und als Pirat aburteilen zu lassen. Nein, er würde nach der Hinrichtung nicht in einem Käfig am Execution Dock in London hängen wie der arme Kidd, als Abschreckung und Warnung für alle Seeleute. Er selbst würde ein Exempel statuieren. Ja, er würde den Sieg davontragen gegen den großen englischen General, den berühmten Lord Malbrook. Später würde er mit seinen Leuten Ostende verlassen, mit so vielen Schätzen, wie sie transportieren konnten – und mit ausgesuchten Bewohnern, die sich als Sklaven verkaufen ließen. Und womöglich wäre eine der Gefangenen die englische Gräfin. Abwarten.
8.
Steel saß an einem kleinen hölzernen Klapptisch vor seinem Zelt und tauchte den Federkiel in das Fässchen mit schwarzer Tinte. Die Zeltreihen schienen sich bis zum Horizont zu erstrecken. Er schaute hinauf zum Morgenhimmel und beobachtete dann eine Zeit lang das Kommen und Gehen auf der »Straße« – auf der breiten, matschigen Gasse, die die Offizierszelte von den Zelten der Soldaten trennte. Derzeit musste er sich einer Aufgabe widmen, die er nur ungern erledigte: Buchhaltung, Berichte der Kompanie. Die Arbeit eines Schreibers. Gleichwohl war es die Pflicht eines jeden Captains der Armee.
Er schaute auf den Bogen Papier vor sich, seufzte und begann zu schreiben. Doch kaum hatte er die ersten Einträge gemacht, wanderte er in seiner Erinnerung zurück zu der kurzen, unerfreulichen Episode in seinem Leben, die als er kleiner Büroangestellter in der Anwaltskanzlei seines Onkels in Edinburgh verbracht hatte. Damals war er noch keine achtzehn Jahre alt gewesen. Mit einem Mal stürmten all diese Erinnerungen wieder auf ihn ein, ungebeten und unwillkommen: Die schreckliche Langeweile bei der Arbeit und die Verzweiflung angesichts des frühen Todes seiner Mutter. Diesem Lebensabschnitt hatte schließlich die Armee ein Ende bereitet. Das Militär und Arabella. Er verließ Schottland, die Wurzeln seiner Heimat, und fing ein neues Leben an, das er nach seinen Vorstellungen gestaltet hatte.
Fünfzehn Jahre als Soldat lagen hinter ihm; er hatte die Guards durchlaufen, in den Diensten des schwedischen Königs gestanden und halb Europa gesehen. In dieser Zeit war er vom jungen Burschen zum Mann gereift. Er dankte Gott für sein Glück und dafür, dass er überlebt hatte, obwohl er so viele gute Kameraden hatte sterben sehen.
Mit diesen Gedanken kehrte er zurück zum bevorstehenden Angriff und fragte sich, ob sein Leben womöglich in den kommenden Tagen endete. Jeder Soldat wusste, dass es eine festgesetzte Zeit zum Sterben gab. Seinem Schicksal konnte niemand entfliehen. Manchmal jedoch, so dachte Steel, konnte man gegen den Teufel in dessen eigenem Spiel antreten und ihn womöglich einen weiteren Tag fernhalten. Er fragte sich, ob etwas Wahres an den Dingen war, die die Männer sich erzählten – dass das Leben des Mannes, den man tötete, die Kriegsgötter milde stimmte und sicherstellte, dass man selbst einen weiteren Tag am Leben blieb.
Diese Vorstellung stieß ihm übel auf; daher wandte er sich wieder seiner Aufgabe zu, der Requirierung
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