Steels Ehre: Jack Steel und die Schlacht von Höchstädt 1704. Historischer Roman (German Edition)
Papiere verloren habt, war so ziemlich das Schlimmste, was passieren konnte. Der arme Mann hatte schon so gut wie alles auf eine Karte gesetzt. Jetzt ist er natürlich niedergeschlagen. Und wenn wir die Oberhand behalten wollen, wird der Herzog, so Gott will, seine letzten Kräfte mobilisieren müssen.«
Sie schritten die »Straße« hinunter, einen zwanzig Fuß breiten Weg, der durch jedes Lager lief, wenn auch nur für einen Tag. Auf der einen Seite dieser Schneise standen die Zelte der Offiziere und des Offizierstabes, auf der anderen die Unterkünfte der gemeinen Soldaten aus allen Bataillonen und Schwadronen. Während auf der Seite der Offiziere Plaudereien, Lieder und Kerzenschein erkennen ließen, dass die Herren sich in kleineren Gruppen zur Mahlzeit eingefunden hatten, legten die Männer auf der anderen Seite sich allmählich schlafen.
Hier und da saßen noch Soldaten an Lagerfeuern, und mitunter hörte Steel Takte bekannter Melodien. Es waren nicht mehr die beschwingenden, jubilierenden Märsche, die die Armee auf dem langen Weg von Flandern nach Bayern begleitet hatten, sondern einfachere Lieder. Balladen, die von der Heimat und unerwiderter Liebe erzählten. Von unerfüllten Träumen und Sehnsüchten. Schlichte, aber eingängige Melodien, bei denen die meisten Männer verstummten und eine Weile versonnen in die Glut starrten.
Ein Stück weiter den Weg hinunter sah Steel, wie ein rot uniformierter Soldat dabei war, sein schlichtes Quartier sauber zu machen. Auf der anderen Straßenseite hallte lautes Lachen durch die besseren Unterkünfte der Offiziere. Der Soldat hob kurz den Kopf und warf einen verächtlichen Blick auf die Feststimmung in den Offizierszelten. Hawkins lachte in sich hinein, als sie weitergingen.
»So war es wohl immer, Jack. Ganz gleich, wie gut eine Armee ist. Ganz gleich, wie gerecht der Kommandeur sein mag. Es gibt Offiziere, die bei ihren Männern beliebt sind, aber leider auch ebenso viele, denen die einfachen Soldaten ein frühes Ende wünschen. Glaubt mir, Jack, Ihr werdet in unserer Armee nicht der Einzige sein, der in der kommenden Schlacht noch eine Rechnung offen hat. Viele Offiziere werden ihr Leben lassen, und ihren Familien daheim erzählt man, die Gentlemen seien den Heldentod gestorben. Doch in Wirklichkeit haben sie eine Kugel im Rücken, die in England gegossen wurde.«
Er dachte einen Moment nach.
»Aber vielleicht werden die Männer ihre persönlichen Rachegelüste zurückstellen und sich mutig in die Schlacht stürzen«, fuhr er dann fort. »Denn ich habe noch nie eine Armee gesehen, die so fest entschlossen war, ihr Ziel zu erreichen. Das ist kein Krieg der Gentlemen mehr, Jack.«
»Bei allem Respekt, Colonel, das war er nie. Und daran braucht Ihr mich nicht zu erinnern.«
»Tut mir leid, mein Junge. Gewiss. Dieser schreckliche Zwischenfall in dem Dorf. Frauen und Kinder, furchtbar. Und Ihr wisst, dass dieses Massaker noch ein Nachspiel haben wird. Inzwischen wurden bis zu vierhundert Dörfer niedergebrannt. Die Holländer und Dänen haben ein Großteil der Bevölkerung gezwungen, auf der Flucht zu leben. Und alles auf Geheiß des Herzogs. Aber das Blutbad von Sattelberg ist wieder eine andere Sache. Natürlich haben die Franzosen so etwas schon zuvor verbrochen. Denkt an die Gebiete der Kurpfalz. Oder an die armen Kamisarden in den Cevennen in Frankreich. Krieg gegen das eigene Volk, um Gottes willen.« Er hielt einen Moment inne, ehe er fortfuhr.
»Aber dass diese Praxis jetzt auch unseren Krieg heimsucht, Jack. Dass den Menschen hier so viel Böses widerfährt. Das ist neu. Die Franzosen metzelten Zivilisten nieder, um den guten Ruf unserer Armee in den Dreck zu ziehen. Das ist wahrlich eine neue Art der Kriegsführung. Eine Kriegsführung, die auf Einschüchterung setzt und den Geist der Menschen lähmt. Terror und Ehrlosigkeit sind ihre Waffen. Ein Grund mehr, dass Ihr Jennings finden und töten müsst. Ein englischer Offizier hat die Opfer des Massakers mit eigenen Augen gesehen. Wenn Jennings die Lüge verbreitet, an dem Blutbad seien nicht die Franzosen schuld, wird er dazu beitragen, dass der politische Druck auf Marlborough zunimmt.«
Plötzlich blieb der Colonel stehen. »Meine Zeltreihe, glaube ich. Ich wünsche Euch eine gute Nacht, Jack.«
Während Hawkins zu seinem Zelt ging, das in der hinteren Reihe des Offizierlagers stand, hob Steel den Eingang der eigenen Unterkunft an und trat ein. Louisa saß an einem kleinen Tisch und las in ihrer
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