Steels Entscheidung: Historischer Roman (German Edition)
eine Stelle im Haushalt ihres Gemahls innegehabt –, aber sie ließ sich zu stark leiten und stand ganz unter dem Einfluss von Marlboroughs verschlagener Ehefrau Sarah Churchill. Und wenn Anne eines Tages starb, was käme dann? Die Königin war unfruchtbar. Dreizehn Fehlgeburten, wie es hieß, und der arme Herzog von Gloucester war im Alter von elf Jahren verstorben.
Die Königin war inzwischen dreiundvierzig; daher war es unwahrscheinlich, dass sie noch einen Thronfolger zur Welt bringen würde. Webb machte sich Sorgen, dass die Krone jenseits des Kanals wieder den Niederländern zufallen würde, oder schlimmer nach, einem Adelshaus in den deutschen Landen. Im Act of Settlement war die Kurfürstin von Hannover benannt worden, aber so weit durfte es nicht kommen!
Webb wusste, dass andere in England seine Sorgen teilten. Niemand hätte etwas davon, wenn erneut ein blutiger Bürgerkrieg über das Land hereinbrach. Webb war gerade einmal sieben Jahre nach dem Ende der Ära Cromwell zur Welt gekommen. Gleichwohl war ihm klar, dass bei der Thronfolgeregelung etwas geschehen musste. In der Zwischenzeit hatte er es mit anderen, drängenderen Problemen zu tun.
Eigentlich, so dachte Webb, käme es ihm zupass, wenn er von den Franzosen zurückgeschlagen würde und die Belagerung sich als Misserfolg erwies. Doch bevor man irgendetwas unternahm, um den rechtmäßigen Nachfolger in der Stuart-Linie zu protegieren, musste es gelingen, Marlborough in Misskredit zu bringen. Aber eine Niederlage einstecken zu müssen, entsprach nicht Webbs Natur. Offenbar wusste das auch Marlborough. Genau das mochte der Grund dafür sein, warum der listige Herzog ihm dieses schwierige Kommando übertragen hatte. Ahnte Marlborough zudem, welcher politischen Fraktion Webb in London insgeheim zugetan war?
Doch Webb schob all diese widerstreitenden Gefühle beiseite. Er wusste, dass es nur einen Weg gab: Er würde die Politik unberücksichtigt lassen und die verdammten Franzosen besiegen. Das gebot die Pflicht, und eine Niederlage konnte er nicht mit seinem Gewissen vereinbaren. Außerdem, was würden die anderen Generäle sagen, wenn er sich in die Flucht schlagen ließe? Nein, er war ein Mann der Ehre und stand zu seinem Wort.
Webb hatte das Kommando dankbar entgegengenommen und sich darauf eingelassen, dass Marlborough bei der Auswahl der Einheiten ein Wort mitzureden hatte. Der Herzog war sogar so weit gegangen, einen bestimmten Captain für das Kommando des vereinten Grenadierbataillons vorzuschlagen. Zugegeben, inmitten dieser Rumpftruppe kam den Grenadieren eine bedeutende Rolle zu. Der Captain genoss einen guten Ruf – er galt sogar als Held, hatte sich bei Blenheim und Ramillies ausgezeichnet und war offenbar mit Lord Rumneys ältester Tochter vermählt, wenn Webb es richtig behalten hatte. Webb kannte die Familie und konnte sich vorstellen, dass diese Vermählung nicht ohne Herausforderungen auskam.
Aber die Familienangelegenheiten taten nichts zur Sache: Webb hoffte, dass dieser Captain sich als fähig erweisen würde, ein ganzes Bataillon in die bevorstehende Schlacht zu führen.
***
Steel hielt sich mit den elf anderen Bataillonskommandeuren in Webbs notdürftigem Feldhauptquartier auf, das sich auf einer Lichtung am Rande der Straße von Roulers und Courtrai befand. Drei Tage lang waren sie von Lille hierher marschiert. Steel erkannte die Straße wieder, denn von hier aus waren sie einst nach Ostende marschiert. Schon der Name fuhr ihm kalt in die Glieder. Jetzt standen sie erneut in einem vom Krieg verwüsteten Landstrich. Die meisten Dörfer lagen verlassen da, oft waren die Bewohner erst vor Kurzem geflohen.
Steel hatte dasselbe Muster schon in anderen Kriegen gesehen: Ständig gelangten Soldaten wieder an die alten Schauplätze. Wie sollte man da noch auseinanderhalten, wer siegte und wer verlor? Das schien alles keinen Sinn zu ergeben. Städte kapitulierten, um später wieder zurückerobert zu werden. Die Einwohner, die überlebt hatten, suchten das Weite. Später würden sie zurückkehren, die blutgetränkten Felder bestellen, die zerstörten Häuser wieder aufbauen und ein neues Leben anfangen … falls sie so lange lebten.
Der Regen hatte erst am Morgen aufgehört, und die Männer waren froh, dass sie ein wenig Zeit fanden, vor dem Gefecht die Kleidung zu trocknen. Steel schaute sich im Kreise der Offizierskameraden um. Wieder einmal sah er die typische zusammengewürfelte Streitmacht in diesem Krieg der vielen Nationen.
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