Steels Entscheidung: Historischer Roman (German Edition)
verharrte auf einer Wegkreuzung südlich der Stadt.
»General de la Motte, Ihr begebt Euch mit Eurer Division aus zwanzigtausend Mann zu dieser Kreuzung bei Torhout. Wir haben von unseren Aufklärern erfahren, dass die Alliierten einen Treck von Ostende nach Lille schicken werden, um die Belagerungsarmee mit Vorräten zu versorgen. Die Wagenkolonne wird von Einheiten geschützt. Ihr werdet an dieser Stelle auf die Marschsäulen treffen, zwischen Torhout und Wijnendale, und die Fourage für Frankreich sichern.«
Vendôme ließ den Blick in die Runde schweifen. »Die Vorräte dürfen um keinen Preis den Belagerungsring bei Lille erreichen«, schärfte er seinen Stabsoffizieren ein. »Ich rechne nicht damit, dass Ihr auf großen Widerstand stoßen werdet. Unsere Aufklärer melden, dass die Eskorte lediglich aus etwa siebentausend Mann besteht. Die meisten davon sind Briten, so viel steht fest, aber Ihr werdet diesen Truppen in einem Verhältnis von drei zu eins überlegen sein. Marlborough hat zwar weitere Bataillone als Entsatz auf den Weg gebracht, aber soweit ich unterrichtet bin, sind sie noch nicht eingetroffen. Und selbst wenn, so werdet Ihr immer noch im Vorteil sein. Es gibt keine Entschuldigung für ein etwaiges Versagen, de la Motte. Keine Ausflüchte. Ihr erobert diese Fourageeinheit und bringt sie zu mir. Mehr verlange ich nicht von Euch. Ihr habt Ostende verloren. Jetzt könnt Ihr zumindest Lille vor dem Schlimmsten bewahren.«
12.
Generalmajor John Richmond Webb ritt an der Spitze einer kleinen Marschkolonne und dachte über den Auftrag nach, der ihn erwartete. Er wusste nicht, ob sein Einsatz von Erfolg gekrönt sein würde, auch nicht, ob er überhaupt mit dem Leben davonkäme. Was er indes von Marlborough wusste, war, dass sie es mit einem starken Gegner zu tun bekommen würden. Im Augenblick verfügte Webb über eine 6000 Mann starke Infanterieeinheit, doch der Feind schien mehr als doppelt so viele Soldaten mobilisiert zu haben. Und zwar nicht nur Infanterie, sondern gewiss auch Kavallerie und Artillerie.
Webb war als Offizier erfahren genug, um zu wissen, dass er es bei diesem Kräfteverhältnis nicht auf eine offene Feldschlacht ankommen lassen durfte. Da er keine Kavallerieeinheit befehligte, liefen seine Männer im Ernstfall Gefahr, an der offenen Flanke angegriffen und niedergeritten zu werden. Schlimmer wog indes der Mangel an geeigneter Artillerie. Aber er erkannte auch den Grund dafür. Denn seine Einheit sollte beweglich und schnell sein, um den Konvoi zu eskortieren. Außerdem wusste er, dass der Herzog im Augenblick keine Geschütze entbehren konnte, da alle Rohre auf Lille gerichtet waren.
Gewiss brachten die Franzosen ihre Artillerie in Stellung. Und dann wären seine Männer gezwungen, so lange standzuhalten, wie die Franzosen den Beschuss aufrechterhielten. Vielleicht würde es den Franzosen auch langweilig, die Infanteristen wie Kegel umzuwerfen, und sie beschlossen, das Gefecht mit einer Infanterieattacke zu Ende zu bringen. Die Initiative lag allein beim Feind, und wenn jemand meinte, Webbs Optionen seien begrenzt, so war das beschönigend. Fakt war: Er hatte keine Alternative. Andererseits wusste er, dass es für ihn kein Zurück gab. Wenn er bei der Verteidigung der Versorgungskolonne versagte, würde Marlborough die Belagerung aufgeben. Als Soldat war es Webbs Pflicht, die Franzosen fernzuhalten – im schlimmsten Fall unter Einsatz seines Lebens.
Als Mensch schätzte Webb die Mission jedoch ganz anders ein, und während er nun in Richtung Feind ritt, dachte er über die Situation nach.
Für Marlborough hatte er nicht viel übrig. Immerhin war Webbs Cousin, Henry St. John, Mitglied des Unterhauses und als Führer der Tories, politisch gesehen, der direkte Gegenspieler des Herzogs. Ende der 1690er Jahre hatte Webb selbst drei Jahre im Unterhaus gesessen und St. John in vielen wichtigen Punkten unterstützt. Heute bereute er es, in ein Duell verwickelt gewesen zu sein, was ihn seinen Sitz im Parlament gekostet hatte. Fortan diente er in der Armee König Wilhelms.
Wenn er wirklich die Wahrheit bekennen müsste – was hoffentlich nie der Fall sein würde –, fühlte er sich mehr als Jakobit, was kaum jemand vermuten würde. Es ärgerte Webb, auf dem Schlachtfeld Seite an Seite mit den Niederländern kämpfen zu müssen, nicht zuletzt, da die rechtmäßige britische Blutlinie von dem Oranier unterbrochen worden war. Königin Anne war zwar vernünftig – Webb hatte sogar
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