Steels Entscheidung: Historischer Roman (German Edition)
kleinen Ankleidekommode und kämmte sich das Haar vor dem Spiegel. Sie war vollkommen nackt. Als er eintrat, kreischte sie, wirbelte herum und griff nach dem Gewand, das auf dem Bett lag, um sich zu bedecken.
»Oh, Jack, mein Gott! Hast du mich erschreckt.«
»Du hast also nicht mit mir gerechnet?«
»Nein, wie auch?«
»Du dachtest vielleicht, ich wäre jemand anders?«
Sie sah den Argwohn in seinem Blick. »Du weißt es also? Oh, Jack, es tut mir unendlich leid. Ich wollte nicht, dass es so endet.«
»Du dachtest, du könntest zurück nach England fliehen und mir dann eine Nachricht schicken?«
»Ja. Nein. Ich meine, ich hatte nicht damit gerechnet, dass du mich hier aufsuchst.«
»Wieso, Henrietta? Warum tust du das? Was ist mit deinem Ehegelübde? Bedeutet dir das alles nichts? Du hast mir Liebe geschworen. Hast mir gesagt, wie sehr du mich liebst. Was ist damit, Henrietta? Ist das alles nichts mehr wert? Wie konnte es dazu kommen?«
Sie schaute zu Boden und schwieg. Schließlich sagte sie: »Ich weiß es auch nicht, Jack. Es hat sich einfach so ergeben. Er besuchte mich in Brüssel. Ich war so einsam und allein. Du warst nicht da und ich …«
»Und da bist du einfach zu ihm ins Bett gestiegen? War es so? Aus purer Langeweile?«
»Nein, das war es nicht.«
»Dann streite es ab. Streite ab, dass du mit ihm das Bett geteilt hast, wenn ich den Beweis allzu deutlich vor Augen habe.«
Er sah das zerwühlte Laken und die verstreut am Boden liegenden Kleidungsstücke: Das Hemd eines Offiziers, ein Unterrock, seidene Strümpfe und Strumpfhalter … alles schien in Eile abgelegt worden zu sein.
»Jack, zieh keine voreiligen Schlüsse. Du bist verwundet. Lass mich dir helfen.«
Er trat einen halben Schritt zurück, als sie die Hand nach ihm ausstreckte. »Nicht der Rede wert. Voreilige Schlüsse, sagst du?« Er bückte sich, hob das Hemd auf und warf es aufs Bett. »Ich habe genug gesehen, Henrietta. Erspare mir die Details.«
Sie sah, wie tief es ihn verletzte, und wusste, dass es keinen Zweck hatte, weiter abzulenken. Daher beschloss sie, in die Offensive zu gehen. »Was sollte ich denn sonst tun? Er war so gut zu mir, und du warst schon eine halbe Ewigkeit fort. Außerdem hatte ich Angst.«
»Und Angst bringt Verrat hervor, wie wir alle wissen. Wer ist der Mann? Ich will seinen Namen wissen!«
»Er ist Major, wenn du es genau wissen willst. Du hättest es ohnehin früh genug erfahren. Ich werde mich scheiden lassen, Jack. Ich habe vor, ihn zu heiraten.«
Steel schwieg und wurde nachdenklich. »Steht dein Entschluss wirklich fest? Ich meine, vielleicht …«
»Nein. Du und ich, wir wissen beide, dass es keinen Zweck hat. Es ist aus.«
Steel wandte sich von ihr ab, trat ans Fenster und blickte hinaus in die Nacht. In seinem Kopf wirbelten unerfüllte Träume durcheinander. Einen Moment lang hielt er die Situation für unwirklich, dann wandte er sich wieder Henrietta zu. »Also gut, wenn es tatsächlich dein Wunsch ist.«
Sie konnte ihm nicht in die Augen sehen und hielt den Blick immer noch gesenkt. Nach einer Pause sagte sie: »Er heißt Maclean. Lachlan Maclean.«
Steel nickte. »Ich habe ihn kennengelernt. Er hat das Kommando der Verteidigung. Scheint mir ein tüchtiger Soldat zu sein. Gewiss ein tapferer Mann. Liebst du ihn?«
»Ja, zumindest glaube ich es.«
Steel lachte tonlos. »Wie du einst geglaubt hast, mich zu lieben?«
Sie wich seinem Blick aus. »Jack, hör auf, so zu reden. Was soll ich dir darauf antworten? Ich weiß, dass es hart für dich ist.«
Steel ging nicht darauf ein. Stattdessen hielt er auf die Tür zu und drehte sich noch einmal um. »Ich sollte lieber gehen, ehe ich etwas Törichtes sage oder tue. Aber ich möchte trotzdem noch einmal mit dir reden. Bleib hier, und wenn du etwas hörst, das dir Angst macht, dann versteckst du dich. Ich schicke dir jemanden, der dich beschützt, so schnell ich kann.«
Steel verließ das Schlafzimmer und drückte die Tür ins Schloss. Maria sah ihm erschrocken nach, als er durch die zweite Tür den Korridor betrat. Unten im Schankraum hatte sich nichts verändert; Slaughter und die Männer warteten nach wie vor an der Tür. Steel jedoch spürte, dass eine Wandlung in ihm vorgegangen war, und wunderte sich einen Moment lang, warum die unmittelbare Umgebung davon unbeeinträchtigt geblieben war. Ein ungewöhnlich taubes Gefühl hatte sich seiner bemächtigt, als wäre seine Umgebung im Fluss der Zeit eingefroren. Gleichzeitig glaubte er,
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