Steh dir nicht im Weg
Da werden Kriegsgräuel und Folter beispielsweise als »unmenschlich« gebrandmarkt – dabei sind Menschen die einzigen uns bekannten Wesen, die zu solchen Taten fähig sind. Natürlich soll damit zum Ausdruck gebracht werden, dass es eines Menschen unwürdig |230| ist, sich so zu verhalten. Andererseits hat es jedoch auch den Effekt, dass man das, was als »unmenschlich« etikettiert wird, leichter beiseite schieben kann. Es ist »unmenschlich«, also kann es nichts mit einem selber zu tun haben, also braucht man sich nicht damit auseinander zu setzen, dass es auch in einem selbst steckt. Und sollte es sich durch unglückliche Umstände so fügen, dass man zum Barbaren wird, dann denkt man: »Das war nicht mein wahres Selbst!«
Etwas, das man nicht kennt, entzieht sich der Kontrolle. Deshalb gilt: Nur wer sich selbst kennt, kann sich auch beherrschen und wird nicht beherrscht. Persönlichkeitsentwicklung bedeutet deshalb in unseren Augen, mehr und mehr Punkte, die außerhalb des kleinen Vierecks liegen, als zu sich selbst gehörig zu erkennen, zu akzeptieren und sich damit auseinander zu setzen. Das sind übrigens keineswegs nur unsere negativen Seiten, oft sind wir auch blind gegenüber Stärken und liebenswerten Eigenschaften, die wir besitzen. Selbstbewusstsein in diesem Sinne bedeutet nicht Durchsetzungsfähigkeit und den Einsatz von Ellbogen. Selbstbewusst ist vielmehr ein in sich ruhender Mensch, der sich seiner Stärken und Schwächen bewusst ist, sich ihnen gestellt hat und damit umgehen kann.
Die Check-your-Mind-Methode ist eine Möglichkeit, mehr Seiten an sich selber zu entdecken und damit umzugehen. Das hat den weiteren Gewinn, dass ein negativer Aspekt der eigenen Persönlichkeit sich wandeln kann. Wenn man zum Beispiel den Neid, der in einem steckt, als Teil von sich annimmt und sich damit auseinander setzt, wird klar, dass dahinter die Angst des Kindes verborgen liegt, nicht akzeptiert und geliebt zu werden. Dann kann man die negativen Gedanken, die mit dem Neid verbunden sind, durch konstruktive beantworten und spüren, dass man den Neid gar nicht mehr nötig hat.
Wir glauben, dass dieser Prozess, in sich immer neue Facetten zu entdecken und zu entwickeln, niemals aufhört, sondern bis ans Lebensende weitergehen kann. Denn das, was wir für unsere Persönlichkeit halten, ist das nicht eher das Ergebnis einer permanenten Selbstsuggestion als etwas Beständiges und Festgelegtes?
|231| Als Kinder werden wir meist schon früh von den Eltern und sonstigen Bezugspersonen auf bestimmte Stärken und Schwächen festgelegt: »Sie ist ein richtiges Energiebündel.« – »Er ist so kreativ, er wird bestimmt mal ein Künstler.« – »Mathematik kann sie nicht, das hat sie von mir.« Endlos könnte man damit fortfahren. Indem Eltern und andere Erwachsene solche Zuschreibungen machen und sie dem Kind immer wieder zu Ohren bringen, legen sie den Grundstein für die spätere Autosuggestion. Was als fremdhypnotischer Prozess begann, wird irgendwann zur Selbsthypnose, weil das Kind die Festlegungen übernimmt. Wenn man etwas oft genug hört, beginnt man daran zu glauben, besonders wenn es von »Autoritäten« wie den eigenen Eltern vorgebracht wird. Oder man rebelliert dagegen, ist dadurch aber mit umgekehrten Vorzeichen an die Festlegung gebunden. Zusätzlich macht man natürlich im Laufe seines Lebens noch jede Menge Erfahrungen, die man dazu nutzt, den eigenen Glauben an vorhandene Stärken, Schwächen oder sonstige Wesensmerkmale zu zementieren. Und all das hält man schließlich für seine Persönlichkeit.
Wenn man sich überlegt, was da passiert, muss man erkennen, dass »Persönlichkeit« nur in Form von Erinnerung existiert: Wenn man wissen will, wer man ist, muss man darauf zurückgreifen, wer man gestern, vorgestern, im vergangenen Jahr war. Diese Erinnerung ist in gewisser Hinsicht natürlich einschränkend, denn sie lässt wenig Raum für Entwicklung, schließlich hat man ein fest gefügtes Bild von sich. Solange ich mich also nur frage »Wer bin ich?«,
bin
ich einfach, mit allem Potenzial, das in diesem »Ich bin« steckt. Sobald man sich eine Antwort gibt, also Aussagen macht, schränkt man sich dadurch ein.
Manchmal erleben Menschen, dass die Aussagen, die sie gewohnt waren zu machen, plötzlich nicht mehr stimmen. Irgendein Schicksalsschlag hat sie ereilt, der ihre Welt völlig auf den Kopf gestellt hat. Es gibt verblüffende Geschichten darüber, wie Menschen, denen so etwas passiert ist,
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