Steh zu dir
hatte das erkannt, und deshalb war sie gegangen. Er hatte ihr nie einen Vorwurf daraus gemacht, dass sie ihn verließ.
Damals gab es für ihn einfach zu viele andere Verpflichtungen. Er wünschte nur, er könnte mit ihr darüber sprechen, während sie dort in diesem Krankenzimmer lag. Sie hatte damals sein Herz mitgenommen, und es gehörte ihr immer noch. Der Gedanke, dass sie jetzt womöglich starb, war unerträglich. Als er endlich losfuhr, wusste er nur eines – er musste sie wiedersehen. Obwohl seither fünfzehn Jahre vergangen waren und sie beide viel erlebt hatten, war er ihr verfallen wie am ersten Tag. Ein einziger Blick in ihr Gesicht hatte alle Gefühle wieder auflodern lassen.
6
Fünf Tage nach dem Eintreffen von Caroles Familie in Paris bat Jason um eine Besprechung mit den Ärzten. Carole lag nach wie vor im Koma. Sie atmete selbstständig, aber ansonsten hatte sich nichts verändert. Seit drei Wochen war sie jetzt bewusstlos. Alle befürchteten insgeheim, dass sie vielleicht nie wieder aufwachte.
Die Ärzte waren freundlich, aber ehrlich. Wenn Carole nicht bald das Bewusstsein wiedererlangte, hatte sie vermutlich einen dauerhaften Hirnschaden erlitten. Im Grunde bestätigten die Ärzte Jasons schlimmste Befürchtungen. Medizinisch konnte momentan nichts für Carole getan werden. Alles lag in Gottes Hand. Menschen waren schon nach viel längerer Zeit wieder aus dem Koma erwacht, aber je länger es dauerte, desto geringer waren ihre Chancen, dass sich das Gehirn wieder vollständig erholte. Nachdem die Ärzte den Warteraum verlassen hatten, in dem das Gespräch stattfand, herrschte beklommenes Schweigen. Chloe weinte still im Arm ihres Bruders. Stevie schluckte und holte tief Luft.
»Also gut, Leute. Carole hat nie aufgegeben. Und das werden wir auch nicht tun. Ihr kennt sie doch. Sie erledigt die Dinge immer in ihrem eigenen Tempo. Sie wird es schaffen. Wir dürfen jetzt nicht den Mut verlieren. Wir wäre es, wenn wir heute alle gemeinsam etwas unternehmen? Wir brauchen eine Pause.« Die anderen sahen sie an, als wäre sie geistesgestört.
»Was zum Beispiel? Vielleicht ein Einkaufsbummel?«, fragte Chloe wütend, und die beiden Männer wirkten bestürzt. Seit Tagen hatten sie nichts anderes getan, als zwischen Krankenhaus und Hotel zu pendeln und an Caroles Bett zu sitzen. Dass sie sich elend fühlten, hielten sie für angebracht. Auch Stevie litt, aber sie wollte, dass sich alle ein bisschen erholten.
»Egal was. Kino. Louvre. Essen gehen. Versailles. Nôtre Dame. Ich bin für etwas, das uns Spaß macht. Wir sind in Paris. Lasst uns überlegen, was Carole vorgeschlagen hätte. Sie würde nicht wollen, dass wir hier Tag für Tag trübsinnig an ihrem Bett sitzen.« Ihr Vorschlag stieß auf wenig Begeisterung.
»Wir können sie nicht einfach hier liegen lassen und uns amüsieren gehen«, erklärte Jason mit strenger Miene.
»Ich bleibe bei ihr. Lenkt ihr euch ruhig ein paar Stunden lang ab. Und ja, Chloe, vielleicht mit einem Einkaufsbummel. Was würde deine Mom tun?«, beharrte Stevie.
»Zur Maniküre gehen und Schuhe kaufen«, antwortete Chloe und kicherte dann. »Und sich die Beine wachsen lassen.«
»Perfekt«, stimmte Stevie zu. »Ich möchte, dass du dir heute mindestens drei Paar Schuhe kaufst. Deine Mom kauft nie weniger. Mehr ist auch gut. Ich werde im Hotel einen Maniküretermin für dich vereinbaren. Maniküre, Pediküre, Beine wachsen, das volle Programm. Und eine Massage. Die würde auch den anwesenden Herren guttun. Und wie wäre es, wenn ich einen Squashplatz im Fitnessclub vom Ritz reserviere?« Sie wusste, wie gern die beiden spielten.
»Ist das nicht ein bisschen sonderbar?«, fragte Anthony mit schuldbewusstem Gesichtsausdruck, obwohl er zugeben musste, dass er sich seit Tagen nach sportlicher Betätigung sehnte.
»Nein, ist es nicht. Und nach dem Spiel könnt ihr noch eine Runde schwimmen gehen. Warum esst ihr nicht alle gemeinsam am Pool zu Mittag und legt dann los? Die Jungs spielen Squash, Chloe bekommt ihre Maniküre und danach Massage für alle. Die Massage kann ich aufs Zimmer bestellen, wenn euch das lieber ist.« Jason lächelte sie dankbar an. Trotz allem gefiel ihm die Idee. »Und was ist mit dir?«
»Ich tue meinen Job, wie immer«, erklärte sie schulterzuckend. »Herumsitzen, warten, Dinge organisieren.« Das Gleiche hatte sie für Carole getan, als Sean krank war. Damals hatte Carole auch tagelang an Seans Bett gesessen, insbesondere nach der Chemo. »Ein
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