Steh zu dir
Junge«, sagte Matthieu seufzend und setzte sich. »Er sah die Welt mit den Augen eines Kindes. Immer wollte er dich beschützen. Er war ein wunderbarer Junge.« Das wusste sie bereits. »Ich habe dich unglücklich gemacht, Carole.«
Daran gab es nichts zu leugnen. Der Junge würde es ihr ohnehin erzählen, obwohl er nicht die ganze Geschichte kannte. Die kannten nur sie beide, und noch war er nicht so weit, ihr alles zu erzählen. Zu groß war seine Angst, von seinen Gefühlen überwältigt zu werden. »Unsere Leben waren sehr kompliziert. Wir lernten uns kennen, während du in Paris warst, um einen Film zu drehen. Dein Mann hatte dich gerade verlassen, und wir verliebten uns ineinander.« Er sagte das mit einer Mischung aus Sehnsucht und Bedauern in der Stimme. Carole konnte seinen Augen ansehen, dass er noch etwas für sie empfand. Sein Gefühl für sie war anders als das, das ihr von Jason entgegenströmte. Das hier war leidenschaftlicher, beinahe aggressiv. Es jagte ihr einen Schauer über den Rücken. Jason besaß eine sanfte Herzlichkeit, aber Matthieu berührte sie im Kern. Sie konnte nicht sagen, ob sie sich vor ihm fürchtete, ihm vertraute oder ihn gar mochte. Um ihn war eine Aura des Mysteriösen, voller schwelender Leidenschaft.
Was auch immer vor all den Jahren zwischen ihnen gewesen war, die Glut war noch nicht erloschen. Es beunruhigte sie, welch verwirrende Gefühle er in ihr auslöste.
»Was passierte, nachdem wir uns ineinander verliebten?«, fragte Carole gerade, als Stevie ins Zimmer trat. Sie sah Matthieu überrascht an. Carole stellte die beiden einander vor. Stevie runzelte die Stirn und ging wieder hinaus, um auf dem Flur zu warten, nicht ohne Carole zu versichern, dass sie in der Nähe bliebe. Das beruhigte Carole. Obwohl dieser Fremde ihr nichts tun konnte, fühlte sie sich seltsam nackt und schutzlos in seiner Gegenwart. Er wandte die ganze Zeit nicht den Blick von ihr ab.
»Eine Menge ist passiert. Du warst die Liebe meines Lebens. Darüber möchte ich mit dir sprechen, aber nicht jetzt.«
»Warum nicht?« Seine Geheimnistuerei beunruhigte sie.
Er verschwieg ihr etwas, und das empfand sie als bedrohlich.
»Weil es eine lange Geschichte ist, die man nicht in ein paar Sätzen erzählen kann. Ich hatte gehofft, dass du dich an alles erinnern würdest, sobald du bei Bewusstsein bist. Aber wie ich sehe, ist dem nicht so. Ich würde gern ein anderes Mal wiederkommen und mit dir darüber sprechen.« Und dann fügte er etwas hinzu, was sie sehr überraschte: »Wir haben zwei Jahre lang zusammengelebt.«
»Tatsächlich?«, fragte sie verblüfft. »Waren wir verheiratet?« Überall stieß sie auf Ehemänner. Erst Jason, dann Sean, jetzt dieser Mann. Er sagte, sie hätten zusammengelebt, aber warum hatte ihr niemand von ihm erzählt? Hatten die anderen nichts davon gewusst? Doch, Anthony in jedem Fall, seine Reaktion war eindeutig gewesen. Offenbar hatte es bei dieser Beziehung kein Happy End gegeben.
Der Mann lächelte und schüttelte den Kopf.
»Nein, ich wollte dich heiraten und du mich, aber es ging nicht. Meine private Situation war kompliziert, und ich hatte einen schwierigen Job. Es war einfach nicht der richtige Zeitpunkt.« Das Timing war anscheinend alles. Auch bei Jason war es daran gescheitert. Ohne weiter darauf einzugehen, stand Matthieu auf und versprach wiederzukommen. Carole war nicht sicher, ob sie das überhaupt wollte. Vielleicht sollte ihr diese Geschichte für immer unbekannt bleiben. In dem wenigen, was er ihr verraten hatte, steckte bereits so viel Kummer und Bedauern … Und dann lächelte Matthieu sie an, auf eine Art, die etwas in ihr berührte. Sie erinnerte sich, ohne sagen zu können, woran. Sie wollte nicht, dass er wiederkam, hatte aber nicht den Mut, ihm das zu sagen. Sollte er sie tatsächlich noch einmal besuchen, musste Stevie unbedingt anwesend sein.
Eine innere Stimme sagte Carole, dass sie unbedingt jemanden brauchte, der sie vor diesem Mann beschützte. Er hatte etwas unglaublich Mächtiges an sich und machte ihr Angst.
Matthieu beugte sich vor und küsste ihr die Hand. Seine Umgangsformen waren perfekt und sehr förmlich und gleichzeitig kühn. Und an seinem Blick erkannte sie, wie sehr er sie noch begehrte.
Sobald er gegangen war, kam Stevie wieder ins Zimmer.
»Wer war das?«, fragte sie mit besorgter Miene, aber Carole antwortete, dass sie es nicht wisse. »Vielleicht ist er dieser geheimnisvolle Franzose, der dir damals das Herz gebrochen
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