Steh zu dir
unschätzbarem Wert. Umgekehrt war sie für Stevie nicht nur die Arbeitgeberin, sondern eine Art große Schwester mit mehr Lebenserfahrung. Die beiden Frauen waren in vielen Dingen einer Meinung und dachten ähnlich, vor allem in Bezug auf Männer.
»Vielleicht sollte ich verreisen.« Nicht, um vor dem Buch davonzulaufen, sondern um die Blockade zu überwinden.
Als würde man eine Nuss knacken, die sich anders nicht öffnen ließ.
»Du könntest die Kinder besuchen«, schlug Stevie vor. Carole liebte es, zu ihrem Sohn und zu ihrer Tochter zu fahren, da die beiden nicht mehr allzu oft nach Hause kamen. Anthony konnte nur schlecht aus dem Büro fort. Aber wie viel er auch zu tun hatte, wenn Carole in New York war, nahm er sich abends Zeit für sie. Und Chloe ließ sowieso alles dafür stehen und liegen, um mit ihrer Mutter durch London zu ziehen. Sie sog die Liebe und Zeit ihrer Mutter auf wie eine Blume den Regen.
»Das habe ich doch erst vor ein paar Wochen getan. Ich weiß nicht … vielleicht sollte ich etwas ganz anderes tun … irgendwohin fahren, wo ich noch nie gewesen bin … nach Prag … oder Rumänien … Schweden …« Es gab nicht mehr viele Orte auf diesem Planeten, die sie noch nicht besucht hatte. Sie hatte Vorträge auf Konferenzen in Indien, Pakistan und Peking gehalten, Staatsoberhäupter auf der ganzen Welt getroffen, mit UNICEF zusammengearbeitet und Reden vor dem US-Senat gehalten.
Stevie zögerte, das Naheliegende auszusprechen. Paris. Sie wusste, wie viel Carole diese Stadt bedeutete. Zweieinhalb Jahre lang hatte Carole dort gewohnt, trotzdem war sie nach dem Verkauf des Hauses nur einmal zurückgekehrt. Carole behauptete, es würde sie nichts mehr dorthin ziehen. Kurz nach ihrer Hochzeit mit Sean hatte sie ihn mit nach Paris genommen. Aber er mochte die Franzosen nicht und flog viel lieber nach London. Das war zehn Jahre her. Und in den fünf Jahren, bevor sie Sean kennenlernte, war sie nur ein einziges Mal dort gewesen, um das Haus nahe der Rue Jacob zu verkaufen. Stevie hatte Carole damals begleitet, um alles zu regeln. Carole war zu dem Zeitpunkt bereits wieder zurück nach L. A. gezogen und sagte, es mache keinen Sinn, das Haus zu behalten. Dennoch war ihr der Schritt schwergefallen, und bis auf ihre Reise mit Sean kehrte sie nie wieder dorthin zurück. Sie beide stiegen damals im Ritz ab, und er beschwerte sich die ganze Zeit. Er liebte England und Italien, aber für Frankreich hatte er nichts übrig.
»Vielleicht ist es an der Zeit, dass du nach Paris zurückgehst«, schlug Stevie vorsichtig vor. Sie wusste, dass die Geister der Vergangenheit dort lauerten, aber nach fünfzehn Jahren konnten sie Carole bestimmt nichts mehr anhaben. Nicht nach den acht Jahren mit Sean. Was auch immer damals in Paris passiert war, Caroles Wunden sollten allmählich verheilt sein.
»Ich weiß nicht.« Carole zögerte. »Im November regnet es dort viel.«
»Das schöne Wetter hier scheint dir nicht beim Schreiben zu helfen. Aber gut, dann fahr woanders hin, nach Wien … Mailand … Venedig … Buenos Aires … Mexiko City … Hawaii. Vielleicht brauchst du eine Auszeit am Strand, und da hast du jede Menge Sonne.« Sie wussten beide, dass es nicht um das Wetter ging.
»Ich überlege es mir.« Carole seufzte und stand auf.
Sie war groß, nicht ganz so groß wie Stevie, aber ebenfalls hoch gewachsen, schlank, mit einer tollen Figur. Dass ihr jugendlicher Körper dem Alterungsprozess trotzte, war sicher auf ihre Gene zurückzuführen. Ihr Gesicht ließ sie viel jünger aussehen, als sie war, ohne dass Carole mit Schönheitschirurgie nachgeholfen hätte. Ihr glattes blondes Haar trug sie lang, oft zu einem Pferdeschwanz gebunden oder als Dutt hochgesteckt. Die Haarstylisten am Set hatten immer ihre helle Freude an dem blonden, seidigen Haar gehabt, schon seit Carole achtzehn war. Ihre grünen Augen waren groß, die Wangenknochen hoch, die Gesichtszüge fein und makellos. Sie hatte das Gesicht und die Figur eines Models. Und ihre Haltung zeugte von Selbstbewusstsein, sicherem Auftreten und Würde. Sie war nicht arrogant, sondern fühlte sich einfach nur wohl in ihrer Haut und bewegte sich mit der Eleganz einer Tänzerin. Das Studio, das sie damals als Erstes unter Vertrag nahm, hatte sie Ballettstunden nehmen lassen. Noch heute bewegte sie sich mit der dort antrainierten Grazie und perfekten Haltung. Sie benutzte so gut wie nie Make-up, und ihr schlichter Stil machte sie nur noch aparter. Stevie war vom
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