Steh zu dir
Bettes.
»Was ist hier passiert?«, fragte er mit seiner autoritären Stimme. »Wo war der Wachmann?«
»Es gab ein Missverständnis. Er ging zum Mittagessen und die Krankenschwester ebenfalls. Seine Vertretung ist nicht aufgetaucht.« Angesichts Matthieus verständlicher Wut fühlte sich die Ärztin sichtbar unbehaglich.
»Und er hat sie einfach allein gelassen?«, fuhr er sie an.
»Tut mir leid, Monsieur le Ministre, es wird nicht wieder vorkommen«, antwortete sie kühl. So beeindruckend Matthieu de Billancourt auch war, sie ließ sich nicht von ihm einschüchtern. Für sie zählte nur das Wohlergehen ihrer Patientin.
»Dieser Junge war hier, um sie zu töten. Er ist einer der Terroristen, die den Anschlag auf den Tunnel verübt haben. Offenbar hat er den Artikel in der Zeitung gelesen.
Ich will, dass von jetzt an zwei Wachleute vor der Tür stehen, und zwar Tag und Nacht.« Matthieu hatte in dem Krankenhaus nichts zu befehlen, aber der Ärztin war klar, dass er recht hatte. »Und falls Sie nicht in der Lage sind, sie hier ausreichend zu schützen, dann zieht sie zurück ins Hotel.«
»Ich werde mich darum kümmern«, versicherte die Ärztin, und im selben Moment betrat der Leiter des Krankenhauses das Zimmer. Matthieu hatte ihn unverzüglich informiert.
Als der Krankenhausleiter gesehen hatte, wie ein Junge in Handschellen abgeführt wurde, hatte er sich von den Polizisten berichten lassen, was passiert war. Daraufhin hatte er sich sofort auf den Weg zu Caroles Zimmer gemacht. Er war außer sich, als er erfuhr, dass der Junge Carole fast getötet hätte. Wenn sie nicht schnell genug den Notfallknopf gedrückt hätte, wäre sie jetzt wahrscheinlich nicht mehr am Leben.
In gebrochenem Englisch fragte der Krankenhausleiter Carole, ob es ihr gut ging. Danach stürmte er wieder aus dem Zimmer, um ein paar Leuten den Kopf zu waschen.
Das Letzte, was er brauchte, war, dass ein amerikanischer Filmstar in seinem Krankenhaus ermordet wurde. Das hätte gewaltig schlechte Presse gebracht.
Die Ärztin lächelte Carole noch einmal aufmunternd an, warf Matthieu einen kühlen Blick zu und ging. Sie mochte sich eigentlich nicht von einem Laien vorschreiben lassen, was sie zu tun hatte – Ex-Minister oder nicht. Allerdings hatte er in diesem Fall nicht ganz unrecht. Carole wäre fast getötet worden. Es grenzte an ein Wunder, dass der Junge seine Mission nicht beenden konnte. Hätte er Carole schlafend angetroffen, wäre es um sie geschehen gewesen. Das und noch viele andere schreckliche Szenarien schossen ihr durch den Kopf.
Matthieu setzte sich auf den Stuhl neben Caroles Bett und tätschelte ihr die Hand. Dann sah er sie mit einer Zärtlichkeit an, die man ihm nach der Art, wie er mit der Ärztin umgesprungen war, gar nicht zugetraut hätte.
»Ich hatte mir vorgenommen, dich heute zu besuchen«, sagte er mit sanfter Stimme. »Aber du siehst mitgenommen aus. Möchtest du, dass ich wieder gehe?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Ich bin erkältet«, antwortete sie und sah ihm in die Augen. Diese Augen hatte sie einst geliebt. Sie erinnerte sich nicht an jede Kleinigkeit, die zwischen ihnen vorgefallen war, und sie war auch nicht sicher, ob sie das wollte. Aber sie erinnerte sich an die Zärtlichkeit ebenso wie an den Schmerz und an das Gefühl großer Leidenschaft. Carole war immer noch ganz zittrig. Aber seine Anwesenheit beruhigte sie. Er strahlte eine solche Stärke aus, dass sie sich beschützt und sicher fühlte.
»Möchtest du eine Tasse Tee, Carole?« Sie nickte. Im Zimmer standen immer eine Thermoskanne mit heißem Wasser und ein Vorrat ihres Lieblingstees bereit. Stevie hatte ihn ihr aus dem Hotel mitgebracht. Matthieu bereitete ihn genau so zu, wie Carole ihn mochte, nicht zu stark und nicht zu schwach. Dann reichte er ihr den Teebecher. Carole stützte sich auf den Ellenbogen auf, nahm den Becher und nippte daran. Sie waren allein im Zimmer. Da Carole nicht mehr in Lebensgefahr schwebte, brauchte sie nicht ständig eine Schwester um sich.
»Darf ich mir auch eine Tasse nehmen?« Sie nickte wieder, und er bereitete sich ebenfalls einen Tee zu. Ihr fiel ein, dass er es gewesen war, der ihr als Erster diesen Tee angeboten hatte.
»Ich habe viel an dich gedacht«, sagte er, nachdem er einen Schluck Vanilletee getrunken hatte.
»Ich habe auch viel an dich gedacht«, gab Carole zu, die bisher kein Wort gesagt hatte. Zu sehr saß ihr noch der Schreck in den Gliedern. »Ich versuche, mich an dich zu erinnern,
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