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Stehaufmädchen: Wie ich mich nach dem Attentat meines Stiefvaters zur Boxweltmeisterschaft zurückkämpfe (German Edition)

Stehaufmädchen: Wie ich mich nach dem Attentat meines Stiefvaters zur Boxweltmeisterschaft zurückkämpfe (German Edition)

Titel: Stehaufmädchen: Wie ich mich nach dem Attentat meines Stiefvaters zur Boxweltmeisterschaft zurückkämpfe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felicia Englmann , Rola El-Halabi
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beiden Beine waren damit unbrauchbar, ich musste am Boden sitzen bleiben. Das Blut floss aus meinen Wunden. Blut, überall Blut. Der ganze Boden voller Blut. Ich konnte nicht einmal schreien, so verwirrt war ich. Totenstill war es in der Kabine.
    Von draußen hörte ich Stimmen und Gerenne. »Gott sei Dank«, dachte ich, »jetzt kommen sie zurück – mein Team hat Verstärkung geholt.« Dabei waren es meine jugendlichen Cousins und ihr Vater, die da gelaufen kamen. Sie traten die Tür zur Kabine ein, aber mein Vater bedrohte auch sie mit der Pistole. Ich hatte Angst um die Jungs. Sie wollten sich aber nicht einschüchtern lassen, wichen vor der Waffe zurück, gingen jedoch nicht weg und kamen wieder näher. Erst als mein Vater in die Decke schoss, wichen sie so weit zurück, dass er die Tür zuknallen und sie mit einem Stuhl versperren konnte. Irgendwelche Sicherheitsleute werden sie dann wohl weggebracht haben.
    Ich saß immer noch da in meinem Blut, schweigend, völlig neben mir, da sah ich draußen am Fenster meine Schwester. Schreiend. Unser Vater lehnte sich derweil von innen an die Tür und holte ein neues Magazin aus seiner Jackentasche. Meine Schwester erzählte mir später, dass sie vor Verzweiflung ihre Kamera durch das Fenster nach ihm geworfen habe. Daran kann ich mich nicht erinnern, auch nicht an das Geräusch von berstendem Glas. Ich sah nur ihn vor mir, wie er wortlos und in aller Ruhe dastand, in seiner Übergangsjacke, und nachlud. Plötzlich war meine Schwester weg, jemand muss sie in Sicherheit gebracht haben.
    Mein Vater schwieg, legte an und schoss mir ins rechte Knie. Er stand dabei fast über mir, vielleicht in einem Meter Entfernung. Wieder ein glatter Durchschuss, bei dem das Kniegelenk nicht zertrümmert wurde. Ich schrie. Und plötzlich begann ich zu reden. »Papa, alles super, Papa, ich liebe dich.«
    Ich wusste gar nicht, was ich da sagte, und weiß bis heute nicht, woher diese Worte kamen. Nie vorher und nie nachher habe ich zu einem meiner Eltern »Ich liebe dich« gesagt. Nur »Ich hab dich lieb«. Jetzt aber sagte ich: »Papa, ich liebe dich« und redete auf ihn ein. »Bitte hör doch auf« und: »Es ist gar nicht schlimm, was du gemacht hast, das passt schon. Du hast es doch angekündigt. Ich bin ja selbst schuld. Ich wusste doch, was passieren würde.« Da saß ich in meinem eigenen Blut und nahm die ganze Schuld für die Tat auf mich, um ihn zu beruhigen. Und um ihm das Gefühl zu geben, das alles gar nicht so schlimm war. Dass ich es ihm nicht übel nahm. Dass ein vierter Schuss kam, der meinen rechten Fuß durchschlug, bemerkte ich gar nicht. Die Kugel ging von unten durch die Sohle und oben wieder heraus – ich habe keine Ahnung, wann das passierte.
    Dann schaltete mein Vater das Licht aus, nahm sich einen Stuhl und setzte sich in eine Ecke, die man von außen nicht einsehen konnte. Er begann zu weinen und sagte plötzlich zu mir: »Sieh nur, was du angestellt hast. Wozu du mich getrieben hast.« Er gab mir die ganze Schuld. Genau das, was ich vorher zu ihm gesagt hatte. »Sieh nur, wozu du mich getrieben hast. Ich wollte das doch gar nicht. Ich habe doch nur Zeit verlangt von euch.« Aber er sagte auch: »Du hast dich für einen anderen Mann entschieden.« Ich gab ihm in allem recht. Wie früher.
    In der Dunkelheit zog er sein Handy aus der Tasche und rief seinen besten Freund an, den Zuhälter, den »Onkel«. Er sagte: »Ja, ich hab’s getan. Es tut mir leid. Ich will mich von dir verabschieden. Kümmere dich um meinen Sohn.« Ich dachte, jetzt dreht er völlig durch. Dann rief er noch einen zweiten Freund an: »Ich hab’s allein gemacht. Tut mir leid, dass ich dir nicht Bescheid gegeben habe.«
    Ich saß einfach nur da und verstand gar nichts mehr. Später sagte man mir, dass man außer den Schreien nach den Schüssen lange Zeit keinen Ton von mir gehört hätte. Keinen einzigen Hilferuf. Nur die gellenden Schreie. Und dann nichts mehr. Ich saß einfach nur da. Fassungslos. Während mein Vater telefonierte, konnte ich aus dem Fenster sehen. Da draußen war keine Menschenseele. Ich dachte in diesen Momenten: »Ich bin von Kugeln durchschlagen worden, verliere Blut, der sitzt da und telefoniert in aller Seelenruhe mit seinen Freunden, und kein Arsch ist da. Wo sind die Menschen, bitte?« Ich blickte immer wieder aus dem Fenster, ob nicht jemand käme. Aber ich hörte nichts, sah nichts. Kein Sirenengeheul und keine Polizisten. Gar nichts.
    Plötzlich klingelte sein

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