Stehaufmädchen: Wie ich mich nach dem Attentat meines Stiefvaters zur Boxweltmeisterschaft zurückkämpfe (German Edition)
lange Zeit im Stau. Im Autoradio hörte er widersprüchliche Nachrichten, von »Rola El-Halabi ist tot« bis »Rola El-Halabi hat nur einen Streifschuss an der Hand«. Wann er kommen würde, wusste meine Mutter nicht, aber genau in dem Moment, als ich fragte, ging die Tür auf, und Kosta kam herein. Meine Mutter sagte: »Sieh mal, da ist er!«
An viel mehr kann ich mich aus diesen ersten Tag im Krankenhaus nicht erinnern, auch nicht an die Notoperation. Ich hing an Kabeln und Schläuchen und war von den Medikamenten völlig benebelt. Ich weiß nur noch, dass Kosta und meine Mutter mir die kleinen Zöpfe öffneten, meine Wettkampffrisur. Und dass Kosta immer, wenn ich aufwachte, neben meinem Bett saß.
Die Presse kam auch ins Krankenhaus, aber das nahm ich nicht wirklich wahr. Meine beste Freundin wurde nicht zu mir vorgelassen, die Presse aber schon, das fand ich im Nachhinein schade, aber das werfe ich nicht dem Krankenhaus vor, sondern meinem damaligen Pressesprecher. Er hatte zu wenig Feingefühl und kein Verständnis für das, was ich durchmachte. Er versagte bei seiner Aufgabe, denn er hätte mich schützen müssen, anstatt mich ins Rampenlicht zu zerren. Ich war vollgepumpt mit Schmerzmitteln und konnte nicht für mich entscheiden; doch er traf die falschen Entscheidungen. Nur deshalb gibt es das Foto von mir, wie ich im Krankenhaus liege. An das Interview, das ich dort gab, kann ich mich nicht erinnern.
Nach den ersten Tagen wechselten meine Familie und Kosta sich ab, damit immer jemand bei mir sein konnte. Ich war maximal drei Stunden allein, wenn sich die Fahrzeiten zwischen Ulm und Berlin überschnitten. Das Leben ging ja weiter, und auch meine Leute mussten zurück nach Ulm. Ich wollte ebenfalls so schnell wie möglich nach Hause und in ein Ulmer Krankenhaus verlegt werden. Das war aber nicht so leicht, wie ich dachte, denn für einen Hubschraubertransport war die Strecke zu weit. Und mit einem Krankenwagen, der 80 Stundenkilometer fährt, die ganze Strecke von Ulm nach Berlin? Das war möglich, aber für mich unvorstellbar. Meine Cousine kam dann auf die Idee, beim ADAC anzurufen, wo ich versichert war. Und tatsächlich: Die organisierten für mich einen Rücktransport im Ambulanzflugzeug und mit Ärzteteams, die mich vom Krankenhaus zum Flughafen Berlin und dann vom Flughafen Memmingen ins Bundeswehrkrankenhaus nach Ulm brachten.
Sechs Wochen war ich im Krankenhaus ans Bett gefesselt, und danach konnte ich nicht in unsere alte Familienwohnung im dritten Stock zurück, denn dort gab es keinen Lift, und ich saß im Rollstuhl, würde jeden Tag zwei Mal für jeweils zwei Stunden zur Reha müssen. Also suchten Kosta und ich uns eine gemeinsame Wohnung. Eigentlich war Kosta es, der suchte, denn ich konnte nicht laufen. Schon im Krankenhaus hatten wir beschlossen, dass wir nicht nur zusammenziehen, sondern auch heiraten würden. Es war nicht so, dass Kosta mit einem Strauß Rosen vor mir auf die Knie gegangen und einen förmlichen Antrag gemacht hätte, sondern wir gaben uns gegenseitig das Versprechen: Wenn wir das hier zusammen durchgestanden haben, wenn die schlimme Zeit vorbei ist und wir in unserem neuen Leben angekommen sind, dann werden wir heiraten. Wir fanden eine Wohnung, nur 50 Quadratmeter, aber in der Ulmer Innenstadt und mit Lift. Dann begann mein neues Leben. Es war schwer. Mir ging es schlecht, ich brauchte bei allem und jedem Hilfe. Ich hatte Ängste, ich hatte Launen, ich war nicht sehr umgänglich. Das alles musste Kosta ertragen, in unserer neuen kleinen Wohnung. Er machte das großartig. Auch seine Mutter, die mir gegenüber zunächst sehr kritisch eingestellt gewesen war, half mir – und natürlich meine Familie. Sechs Wochen nach dem 1. April, ich war gerade erst aus dem Krankenhaus entlassen worden und saß noch im Rollstuhl, war ich sogar in einer Fernseh-Talkshow. Das war wieder so etwas, zu dem mich mein damaliger Pressesprecher drängte, obwohl es noch viel zu früh dafür war, an die Öffentlichkeit zu gehen. Denn ich war in meinem neuen Leben noch nicht angekommen, hatte meine Gefühle noch nicht sortiert. Daher sagte ich in dieser Fernsehshow, dass mein Papa immer mein Papa bleiben würde. Ich hatte damals das Gefühl, nicht schlecht über ihn reden zu dürfen. Ich wollte nicht als böse und undankbar dastehen, als die Tochter, die Schlechtes über ihren Vater sagt. Heute ist für mich klar: Ich habe keinen Papa mehr. Und ich rede auch schlecht über ihn, weil er eine Tat
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