Stehaufmädchen: Wie ich mich nach dem Attentat meines Stiefvaters zur Boxweltmeisterschaft zurückkämpfe (German Edition)
Schmerzen, die ich in dieser Zeit hatte – die schmerzlichen Enttäuschungen, die ich in dieser Zeit einstecken musste. Drei Monate lang schottete ich mich komplett ab. Nicht einmal mit meiner Mutter und Schwester sprach ich mehr. Nur noch mit Kosta. Ich ging raus zum Einkaufen, sprach mit niemandem, ging wieder nach Hause.
Kosta und ich reisten dann im Sommer zwei Mal nach Griechenland. Seine Eltern betreiben dort ein Hotel. Obwohl sie anfangs gegen mich waren, war ich dort herzlich willkommen. Heute weiß ich, dass meine Schwiegermutter, wenn es wirklich darauf ankommt, zur Stelle ist – auch wenn sie sonst eine kritische Person ist. Sie war eine der ganz wenigen, die mich positiv überraschten, weil sie ihre Ablehnung mir gegenüber einfach völlig über Bord warf.
Wer mir aus der sozialen Isolation half, waren völlig fremde Menschen, die mir auf Facebook schrieben oder mich auf der Straße ansprachen. Einerseits hatte ich mich verkrochen, weil ich die Blicke der Fremden nicht ertragen konnte. Ich saß jetzt im Rollstuhl, und die Leute blickten zu mir herunter. Früher schaute man zu mir, der Boxweltmeisterin, auf, so war ich das gewohnt. So wollte ich nicht in der Öffentlichkeit stehen. Andererseits kamen auch Menschen auf mich zu und machten mir Mut. Ich traf Fremde, die mich auf der Straße umarmten, weinten und mir alles Gute wünschten. Es gab Fremde, die mir auf Facebook schrieben: »Hey, ich finde dich so stark! Tolle Frau! Kämpferin. Wir drücken dir die Daumen! Wir sind alle bei deinem nächsten Kampf dabei.« Leute, die mir ihre eigene Geschichte erzählten und wie sie damit umgingen – positiv damit umgingen. Die Einstellung dieser Menschen gab mir Kraft. Wie toll manche Leute einen Schicksalsschlag wegstecken, beeindruckte mich, und von der Kraft dieser Leute schnitt ich mir einfach ein Stückchen ab. Jeden Tag aufs Neue.
Zu Tode erschrecken
Ich bin Rola, die zu Tode erschrickt. Wenn draußen etwas knallt oder auch nur umfällt, verliere ich die Fassung. Dann ist Drama angesagt, und ich muss weinen. Aber nicht nur, wenn es knallt, manchmal auch einfach so. Da sitze ich zu Hause und weine.
Mein neues Leben zwickt und zwackt noch, nichts passt wirklich, und da ist noch der Schatten, der mich verfolgt, der 1. April. Diese Bilder in meinem Kopf, die immer wieder aufspringen, klack, klack, und dann bin ich wieder in dieser Kabine mit den grauen Wänden und sitze in meinem Blut. Sobald mich etwas daran erinnert, auch nur eine Tür, die zuknallt, bin ich wieder da auf dem Boden, allein mit dem Monster, das einmal mein Vater war.
Es gibt Tage, da kann ich nicht aus dem Haus und unter Leute, aber ich kann auch nicht zu Hause bleiben in den vier Wänden, kann nicht allein sein und kann niemanden an meiner Seite haben, kann mit niemandem sprechen und müsste doch so dringend reden. An diesen Tagen geht einfach gar nichts. Da sind die Bilder aus Berlin stärker als ich. Klack, klack.
Es braucht nur ein Luftballon zu zerplatzen, und ich bin für ein paar Minuten nicht ansprechbar. Silvester mit der ganzen Knallerei wird vermutlich lebenslang ein Problem für mich sein. Irgendwann werde ich mich wahrscheinlich nicht mehr weinend in einer Ecke verkriechen, wenn jemand draußen Kracher wirft, aber genießen werde ich es wohl nie wieder können.
Auch Fernsehen ist ein echtes Problem geworden. Ganz vieles kann ich mir nicht mehr ansehen, weil ich auch diese Bilder nicht ertrage. Jede Sendung, jede Serie, jeden Film, in dem eine gesunde Vater-Tochter-Beziehung vorkommt, muss ich ausschalten. Ganz schlimm sind Szenen, in denen der Vater seine Tochter als Braut zum Altar führt. Das kann ich nicht sehen. Nie wird jemand mich bei meiner Hochzeit so führen. Ich bin jetzt mit Kosta verlobt, ich werde eine Braut, und es wird kein stolzer Vater dabei sein. Diese Bilder von den glücklichen Familien bringen mich zum Weinen.
Nie wieder werde ich die Tochter eines Vaters sein, voller Vertrauen, voller Glück und Stolz. Mein Gefühl, die geliebte Tochter zu sein, ist in 1000 Stücke zersprungen, das wird nie wieder heil. Wie ein Glas, das auf einen Boden voller Blut fällt. Klatsch. Kaputt.
Und dann sind da die Filme, in denen herumgeballert wird. Das sind fast alle, man glaubt es kaum.
Ins Kino zu gehen ist unmöglich für uns. Kosta geht gerne ins Kino, ich sehe auch gerne Filme, aber welchen Film Kosta auch für uns aussucht, immer kommt die unvermeidliche Szene, in der geschossen wird. Das ist heute wohl
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