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Stehaufmädchen: Wie ich mich nach dem Attentat meines Stiefvaters zur Boxweltmeisterschaft zurückkämpfe (German Edition)

Stehaufmädchen: Wie ich mich nach dem Attentat meines Stiefvaters zur Boxweltmeisterschaft zurückkämpfe (German Edition)

Titel: Stehaufmädchen: Wie ich mich nach dem Attentat meines Stiefvaters zur Boxweltmeisterschaft zurückkämpfe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felicia Englmann , Rola El-Halabi
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begangen hat, die nur ein Monster begehen kann und kein Vater. Das war nicht mein Papa, der da am 1. April 2011 in meiner Kabine stand.
    Erstaunlicherweise meldete sich mein leiblicher Vater aus dem Libanon in diesen Wochen. Das erste Mal seit 23 Jahren. Die Nachricht über die Schüsse hatte sich natürlich auch bei meinen Verwandten im Libanon herumgesprochen. Er rief bei meiner Mutter an und erkundigte sich nach mir, wollte auch mit mir reden, aber ich blockte ab. Nie hatte er mir zum Geburtstag oder zu einem meiner gewonnenen Kämpfe gratuliert, nie auch nur eine Karte geschrieben. Es hätte so viele schöne Gelegenheiten für ihn gegeben, um sich zu melden und mir zu sagen: »Hey, Kleine, das hast du gut gemacht. Ich bin stolz auf dich.« Aber von ihm war kein Wort gekommen. Und kaum passierte mir etwas Schlimmes, da meldete er sich. Das fand ich absolut daneben. Ich weigerte mich daher, mit ihm zu sprechen, ich konnte ja nicht plötzlich einfach so wieder seine Tochter sein.
    Meine Schwester dagegen entschloss sich, mit ihm zu reden. Er ist schließlich auch ihr Vater. Sie telefonierten dann einige Male, aber es wurde meiner Schwester schnell zu viel. Denn der Vater, der auch meine Schwester nie gesehen, sich nie um sie gekümmert hatte, begann, sie nach ihrem Verlobten, den sie damals seit einiger Zeit hatte, auszufragen, und wollte ihn kennenlernen, um zu sehen, ob er auch gut genug für sie wäre. Meine Schwester beendete deswegen bald den Kontakt und wollte nicht weiter mit ihm sprechen. Er rief noch einige Male bei meiner Mutter an und fragte nach uns, und meine Mutter richtete ihm von mir ganz eindeutig aus, dass ich im Moment nicht mit ihm reden wolle. Nach drei Monaten gab er auf – auch das enttäuschte mich. Wenn sein Interesse an uns ehrlich gewesen wäre, hätte er sich mehr angestrengt. Er konnte doch nicht 23 Jahre weg sein, dann einen Monat lang jeden Tag anrufen, um dann wieder zu verschwinden.
    Mein Pressesprecher und er waren nicht die Einzigen, die mich in dieser Zeit enttäuschten. Viele Menschen aus meinem Umfeld enttäuschten mich auf die eine oder andere Art und Weise. Verwandte, Freunde, Menschen aus meinem Team. Wenn ich ganz streng bin, haben nur zwei Menschen mich nicht enttäuscht: Kosta und meine beste Freundin. Sogar meine Mutter hat mich enttäuscht, denn sie sagte von Anfang an, dass sie vor Gericht nicht gegen meinen Vater aussagen würde. Ich nehme ihr das nicht übel, aber es verletzte mich trotzdem, weil ich erwartet hätte, dass sie zu mir hält, gerade in dieser Zeit. Es war schlimm zu spüren, dass nicht einmal meine eigene Mutter zu 100 Prozent hinter mir stand.
    Sie war aber leider nicht die Einzige, die nicht vor Gericht aussagen wollte. Einige, viele Menschen aus meinem Umfeld zeigten jetzt ihr wahres Gesicht und schwiegen, auch solche, von denen ich eine andere Reaktion erwartethätte. Menschen, von denen ich dachte, sie wären meine Freunde, schickten mir vielleicht eine einzige Gute-Besserung-SMS und beschwerten sich dann Wochen später bei mir darüber, dass ich nicht geantwortet und mich nie mehr gemeldet hatte. Das fand ich total daneben. Gerade von meinen sogenannten Freunden hätte ich mir mehr Fingerspitzengefühl erhofft. Niemand weiß, wie man sich in einer solchen Situation dem Opfer gegenüber richtig verhalten soll, weil so etwas zum Glück selten vorkommt. Aber jeder weiß doch, dass jemand, dem es schlecht geht, Zuspruch braucht und keine Vorwürfe, nicht auf Nachrichten reagiert zu haben. So kam es, dass einige Leute einfach von der Bildfläche verschwanden, statt mir Mut zuzusprechen. Ich vermisste meine Freunde sehr.
    Die Kraft, Streit anzufangen, hatte ich jedoch nicht. Wer aus meinem Leben verschwinden wollte, den hielt ich nicht auf, der konnte in dieser Zeit ungehindert gehen. Ich zog mich sehr zurück, weil ich das alles erst einmal verdauen musste. Es war tatsächlich nichts mehr wie früher. Meine Familie war zerbrochen, und mein Team beim Boxen, das ich lange als meine Ersatzfamilie betrachtet hatte, erwies sich im Nachhinein als reine Zweckgemeinschaft. Ich lernte, dass sich jeder selbst der Nächste ist. Wie bei einer Schiffskatastrophe, wenn jeder für sich selbst versucht, in ein Rettungsboot zu kommen und sein Leben zu retten.
    Ich verkroch mich zu Hause, wollte niemanden in meiner Nähe, weil ich das Gefühl hatte, es meinte ohnehin niemand gut mit mir. Ich war völlig kaputt, völlig zerstört. Das war schlimmer als die körperlichen

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