Steife Prise
ihren Kummer zu vergrößern. Das hatte sie nämlich schon kapiert. Es war zwar nicht entscheidend, aber er war doch froh, dass sie so schnell von Begriff war. Er hob warnend die Hand, doch Volker rührte sich nicht von der Stelle und bewies so, dass er tatsächlich das Zeug zum Hauptmann in sich hatte. Genau wie Mumm war er zu einem Beobachter geworden. Und Mumm beobachtete und ließ die Dunkelheit in sich aufsteigen, um die Situation auf die ihr eigene, unnachahmliche Weise zu begutachten. Es war nicht die Rufende Stille, jedenfalls hoffte er das inbrünstig. Es war lediglich seine eigene menschliche Finsternis, sein innerer Feind, der jeden seiner Gedanken kannte, der wusste, dass jedes Mal, wenn Kommandeur Mumm einen brutalen und trickreichen Mörder vor die Gnade oder die Gerechtigkeit zerrte, zu der das Gesetz in seiner launischen Weisheit fähig war, noch ein zweiter Mumm anwesend war, ein geisterhafter Mumm, dessen Verlangen, die widerwärtige Kreatur auf der Stelle in Stücke zu hauen, in Ketten gelegt werden musste. Das fiel ihm bedauerlicherweise immer schwerer, und er fragte sich, ob diese Dunkelheit eines Tages ausbrechen und ihr rechtmäßiges Erbe fordern würde und ob er es dann überhaupt mitbekommen würde … Ob die Bremsen und Ketten und Türen und Schlösser in seinem Kopf eines Tages einfach verschwunden sein würden und er es nicht einmal bemerken würde.
Jetzt, als er das verängstigte Kind betrachtete, befürchtete er, dass dieser Augenblick näher rückte. Vielleicht hielt lediglich Volkers Anwesenheit die Dunkelheit in Schach, dieses schreckliche Verlangen, den Henker um seinen Dollar für den Sturz ins Nichts, die drei Pennys für den Strick und den Sechser für sein Bier zu bringen und die Sache gleich selbst zu erledigen. Es war so leicht, jemanden zu töten – schwerer wurde es, wenn ein pfiffiger junger Polizist, der dich für einen guten Menschen hält, dir dabei zusieht. Zu Hause bildeten die Wache und seine Familie eine Schutzmauer um Mumm. Hier war er nur deshalb der Gute, weil er nicht wollte, dass ihn jemand als Bösewicht sah. Er wollte sich nicht dafür schämen müssen. Er wollte nicht die Dunkelheit sein.
Die Armbrust zeigte auf die beiden Geiseln, und derjenige, der sie hielt, hatte eindeutig den Befehl zu schießen, sobald ihn ein Ziehen an der Schnur dazu aufforderte. Würde er es tun? Man musste ein paar Jahre auf dem Buckel haben, damit die Dunkelheit in einen eindringen konnte, obwohl es immer auch einen oder zwei gab, die als wandelnde Dunkelheit geboren wurden, die zum Zeitvertreib töteten. Gehörte dieser Kerl dazu? Selbst wenn nicht – würde er in Panik geraten? Wie locker saß der Abzug? Würde ihn ein kurzes Zusammenzucken auslösen?
Draußen tobte das Unwetter. Ob das Wasser stieg oder fiel, spielte keine große Rolle mehr, da ohnehin schon überall viel zu viel von dem Zeug war. Die Frau beobachtete ihn aus den Augenwinkeln. Jeder Moment zählte …
Mumm setzte vorsichtig einen Fuß vor den anderen, als könnte jemand bei dem Getöse und Geknarre einen einzelnen Schritt hören. Er schlich sich an den ahnungslosen Wächter heran, packte ihn mit beiden Händen am Hals und zog ihn nach hinten. Der Pfeil bohrte sich in die Decke.
»Ich will nicht, dass hier irgendjemandem was passiert«, versuchte es Mumm auf die freundliche Tour, schaltete aber sofort um: »Wenn du daran denkst, irgendwelche Fäden zu ziehen, Kleiner, lass dir eins gesagt sein: Ich kann länger zudrücken, als du atmen kannst. Hauptwachtmeister Aufstrich, nehmen Sie dem Herrn die Waffe ab und binden Sie ihm die Beine zusammen. Die Waffe dürfen Sie behalten. Ich weiß, dass sie Ihnen gefällt.«
Er musste unabsichtlich den Druck verringert haben, denn sein Gefangener krächzte heiser: »Ich will niemanden umbringen, ehrlich nicht! Die haben mir die Armbrust gegeben und mir gesagt, ich soll schießen, wenn das Schiff anhält oder wenn jemand an der Schnur zieht! Glauben Sie, ich hätte das getan? Glauben Sie das wirklich? Ich habe hier nur gesessen, falls einer von denen hier reinkommt. Bitte, ich bin doch nicht wegen so was hier mitgegangen! Straßfurt hat sich das ausgedacht, der Kerl ist völlig irre, ein kaltblütiger Mörder ist das, ehrlich!«
Es krachte laut, und das ganze Schiff erbebte. Vielleicht hatte die Stoppuhr den Lotsen im Stich gelassen. »Wie heißt du?«
»Eddie heiß ich, Eddie Keckwitz. Ich bin bloß eine Wasserratte!« Der Mann zitterte. Mumm sah, dass seine Hand
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